Rosenschmerz (German Edition)
Meter vor dem Kriminalrat hatte er sich aufgepflanzt.
Wenn Ottakring etwas nicht leiden konnte, dann war es unerwünschte körperliche
Nähe. Er musste sich zurückhalten, um ihn nicht zu attackieren, obwohl der
andere kräftiger, jünger und einen halben Kopf größer war als er. Stattdessen
versetzte er sich in einen Zustand unbeirrbarer Entschlossenheit.
»Raus!«, sagte er. Er flüsterte fast. »Raus, Sie Ekel. Sie haben
schon genug angerichtet heute.« Es war ein Schuss ins Blaue. Doch an Spechts
Augen erkannte er den Volltreffer. Den Grund würde er sicher noch erfahren.
Angst konnte Ottakring in Spechts Augen nicht erkennen. Aber Hass. Blindwütigen
Hass.
Nach langen Sekunden machte der Stellvertreter auf dem Absatz kehrt
und ging aus dem Zimmer. Dass die Tür nicht ins Schloss krachte – auch
daran hatte Eva M. wieder ihren Anteil. Sie hatte die Auseinandersetzung
natürlich mitgekriegt. Sie neigte den Kopf und umgarnte ihren Vorgesetzten mit
einem Lächeln, das einen Mörder zum Geständnis gebracht hätte.
Erst jetzt, bei ihrem dritten Auftauchen, registrierte Ottakring,
dass sie zur schwarzen Jeans ein sehr figurbetontes T-Shirt trug.
Erdbeerfarben, so wie der Schal heute früh bei Karstadt. »Was gibt’s denn,
Mädchen?«, fragte er milde.
»Oh Mann«, sagte sie in leicht genervtem Ton und verdrehte die
Augen. »Sie haben mich gefragt, ob ich …«
»Ach ja, wegen dem Geschenk für Lola«, entfuhr es Ottakring.
»Genau. Frau Herrenhaus. Sie mag Opern. Sie ist sogar hingerissen
davon. Und da hab ich mir gedacht …«
Sein Mund war ein gerader Strich. »Sagen Sie, Eva M., wieso
kennen Sie solche Details? Stöbern Sie in meinem Privatleben herum?«
Eva M. schien aus allen Wolken zu fallen. »Aber Herr
Ottakring …« Ein Blick voll triefenden Mitleids senkte sich auf ihn
hernieder. »Internet. Lola Herrenhaus ist schließlich eine Person des
öffentlichen Lebens. Opern, Mittelmeer, Literatur, romanische Kirchen –
und Sie. Das sind ihre Neigungen. Steht alles auf ihrer Website. Und da hätte
ich eben den Vorschlag …«
Ottakring fand Gefallen an dem Gespräch. Er zog sich in seinen
Schreibtischstuhl zurück und faltete die Hände über dem Bauch. »Ich höre.
Diesmal werde ich Sie ausreden lassen.«
»Salzburger Festspiele!«, warf sie ihm an den Kopf. »Schon mal
gehört?«
Als er entgeistert nickte, schoss Eva M. eine ganze Salve auf
ihn ab.
»Anna Netrebko. Rolando Villazón. Beide in ›Romeo und Julia‹ von
Charles Gounod. Mozarteum Orchester Salzburg. Premiere am 2. August
nächstes Jahr. Das ist Ihr Weihnachtsgeschenk für Ihre Lola.« Sie drehte sich
ein paarmal pirouettenartig um ihre Achse und lehnte sich, die Beine
verschränkt, zum Finale sehr cool gegen eine imaginäre Glasscheibe mitten im
Raum.
Salzburg. Super Idee. Darauf wäre er nie gekommen. Doch er hatte
eine vage Vorstellung von den Kosten und davon, wie begehrt so eine Aufführung
war.
»Und hier?«, fragte er und machte mit den Fingern die Bewegung des
Geldzählens.
»Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.«
»Und wie soll ich an Premierenkarten kommen?«
Eva M. posierte in einer klassischen Arabesque. Körper auf einem
Bein, das andere gestreckt hinter dem Rumpf mit ausgebreiteten Armen. »Lassen
Sie mich nur machen. Eine Miss Herbstfest und zukünftige Prinzessin im
Rosenheimer Fasching hat ihre Verbindungen. ›Networking‹ nennt man das auf gut
Boarisch.«
Ottakring erhob sich mit einem Ruck. Das wollte er auf gar keinen
Fall. Niemals danke sagen müssen. Sich von niemandem abhängig machen. Doch er
durfte den Widerspruch nicht übertreiben. »Zuerst einmal vielen Dank für die
Vorstellung. Sie waren klasse.« Er klatschte zurückhaltend in die Hände.
»Vielleicht nicht ganz der rechte Ort für Ballettfiguren. Und das mit den
Karten? Ich werd mir’s überlegen. Jedenfalls haben Sie mir einen gewaltigen
Schwung verpasst.«
Weil sie nichts weiter sagte, sah er sie frontal an. Sie senkte den
Kopf. Ihm war in der Tat ein gewaltiger Stein vom Herzen gefallen.
Hatte Specht geblufft? Hatte diese angebliche Redakteurin
tatsächlich bei ihm angerufen? Die Frau hatte nach Ottakring verlangt. Wer war
sie? Und wenn Specht die Wahrheit gesagt hatte? »Das mit dem Kirchbichler, das
ist Mord gewesen«, sollte sie gesagt haben. Nur eine weitere Stelle hatte
Kenntnis von dem Verdacht: die Rechtsmedizin in der Frauenlobstraße in München.
Kaum vorstellbar, dass es dort eine undichte Stelle gab. Und
Weitere Kostenlose Bücher