Rosenschmerz (German Edition)
durchzustehen. Dann
ging es nicht mehr anders. »Ich untersuche schon mal die Toilette«, rief er
Bruni zu und schloss sich ein. Dieser verdammte Harndrang! Wenn Lola wieder auf
dem Damm war, war er dran mit einem Besuch beim Urologen. Noch während die
Spülung dröhnte, meldete sich sein Handy.
Chili.
»Ja, es gibt einen Vater«, rief sie begeistert, begleitet von einem
undefinierbaren Hintergrundgeräusch. »Wir sind auf dem Weg dorthin, Eva M.
und ich. Ich halte Sie auf dem Laufenden. Ach, noch etwas Internes, ich denke,
es könnte Sie interessieren. Specht verbreitet eine sehr eigenwillige Theorie
über den Fall Kirchbichler. Vielleicht kümmern Sie sich einmal drum, sobald Sie
Zeit haben.«
Keine Minute danach klingelte es wieder.
»Do is der Huawa«, tönte es laut. »Habedere, Herr Kriminalrat. Der
Herr Huber, wissen’s, was der gmacht hat? Meine Frau ist ganz aus dem Häuserl.
Er hat ihre schönste Weihnachtskugel zerbissen. Die goldene, die wo sie selbst
bemalt hat. Ich steh voll hinter Eahna, Herr Kriminalrat, aber mei Frau –
na ja, wie gsagt, die is ganz außer sich.«
Ottakring erhielt gerade von Bruni einen Wink, der ihn in den
siebten Himmel hob.
»Ja mei«, sagte er neu beschwingt zu Huawa. »Ein Hund ist ein
Geschöpf, dem alles Menschliche fremd ist. Ich zum Beispiel hätt die Kugel
nicht zerbissen.«
»Kommen Sie, ich zeig Ihnen was.« Bruni hatte etwas sehr Einfaches
getan. Er hatte einen deckenhohen Wandteppich zur Seite geschoben und dahinter
eine in die Wand geritzte Form entdeckt, die in etwa der Größe einer Tür
entsprach.
»Nein, da müssen Sie wegbleiben. Das ist Professor Morlocks
Geheimnis.« Alex kreischte und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich darf da auch
nicht rein. Auch ich war noch nie da drinnen. Um Himmels willen, bleiben Sie
weg.«
Mit einem giftigen Blick brachte Ottakring sie zum Schweigen.
»Bluatsakrament!«, schimpfte er und fuchtelte mit beiden Armen in der Luft
herum, als ob er mit Dämonen kämpfte. Diese Alex hatte schon wieder ihr Handy
in der Hand. Und ihr Daumen fing gerade an, auf den Tasten zu tanzen. »Jetzt
hab ich die Faxen dick. Sie sollen die Finger von dem Teil da lassen.« Seine
Stimme wurde tief. »Eine Nummer können Sie von mir aus noch anrufen,
bevor …«
»Oh ja!«, jubilierte Alex. »Wenn ich Ihnen damit helfen kann? Welche
Nummer?«
»Die 200-110 in Rosenheim.
Das ist die Einsatzzentrale der Kriminalpolizei. Dort können Sie sich um einen
Platz in einer Einzelzelle bewerben.« Todernst fügte er hinzu. »Garantiert telefonfrei.«
Bruni, der sich in der Zwischenzeit an der eingeritzten Wand zu
schaffen gemacht hatte, ließ sein heiseres Meckern hören. Dann warf er sich mit
der Schulter dagegen, und die Tür flog zur anderen Seite auf.
Alex entfuhr ein spitzer Schrei.
*
Es gab zwei Möglichkeiten, mit dem Wagen von Rosenheim
nach Kohlstattberg zu kommen: Entweder über Stephanskirchen, in Riedering
rechts ab, in Hetzenbichl links und dann noch zwei Kilometer. Oder nach Süden,
über die A8,
Ausfahrt Frasdorf, und ein kleines Stück nach Norden.
Chili und Eva M. entschieden sich für die erste Variante. Sie
waren auf dem Weg zu Katharina Silbernagls Vater. Chili saß am Steuer, als sie
sich auf die windungsreiche Straße begaben. Im Sommer wäre es eine Lust
gewesen, auf dieser Strecke dahinzugondeln. Jetzt, im Winter, hatte man
zumindest einen traumhaften Blick auf die verschneite Alpenkette. Kaum eine
Menschenseele war unterwegs. Irgendwann überholten sie eine dick vermummte
Gestalt auf einem Fahrrad. Mehrfach mussten sie sich durch Matsch wühlen.
Wässriger Schnee traf auf die Windschutzscheibe des verbeulten Pick-up. Er war
ein getarntes Tatortfahrzeug für besondere Gelegenheiten. Diese Fahrt hatte
Chili eigenmächtig zu einer solchen erhoben.
Der Vater hatte wie sein Bruder einen respektablen Hof. Dieser lag
etwas östlich von Kohlstatt auf einem Hügel zwischen Wäldern. Eine Bäuerin
schien nicht zu existieren, Ergebnis ihrer Recherche. Der Kontakt zu seiner
Tochter, hatte Chili ermittelt, schien eingeschlafen zu sein. Dann, bevor sie
am Ziel waren, musste sie noch etwas loswerden.
»Ottakring wird staunen, wenn er erfährt, dass Kirchbichler einen
Bruder hat«, sagte sie. »Ich hab lange genug gebraucht, das herauszufinden.«
»Ach ja«, sagte Eva M. spontan. »Sie haben’s vorhin kurz
erwähnt. Schön, wenn Sie mir’s erzählen wollen.«
Obwohl die Frauen nur wenige Jahre trennten, waren sie beim
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