Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosenschmerz (German Edition)

Rosenschmerz (German Edition)

Titel: Rosenschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
Vom Netzwerk:
»Sie«
geblieben. Mit dem »Du« hatten sie es einen halben Tag lang versucht. Doch als
sie merkten, wie befangen sie miteinander umgingen, ließen sie es wieder sein.
    »Also, der Niki, der hatte Eltern.« Kaum war der Satz heraus,
grinste Chili schräg. »Na klar doch, was sonst. Die haben sich scheiden lassen,
die Buben blieben bei der Mutter. Nikis Bruder ist neun Jahre älter als er. Der
Vater starb jung, und relativ bald danach auch die Mutter. Dann standen die
Kirchbichler-Buben auf eigenen Füßen. Aber sie waren total verschieden. Der
Jüngere, Niki, war von Beginn an der geborene Künstler. Schlechter
Hauptschulabschluss, Gitarrist in Rockbands, frühzeitig hinter Frauen her. Und
die hinter ihm. Sein Bruder Karl dagegen machte die Steuerberaterprüfung,
feilte an seinem Italienisch und nahm Spanisch dazu. Als er Mitte dreißig war,
kam er beruflich nach Südamerika. Zuerst nur befristet, wie üblich. Doch dann
bot sich ihm in Venezuela eine Chance, und er übersiedelte dorthin. Heute
betreibt er eine Ranch mit Tausenden von Rindern. Sie heißt Hato Matiyure.«
    »Südamerika. Mein Traumland«, flüsterte Eva M. mit Sehnsucht in
den Augen.
    Ihr Weg führte durch herrliches, welliges Hochland. Ein Land wie zu
Zeiten Ludwigs  II ., nichts schien sich verändert zu
haben. Sie fuhren an verschneiten Wiesen vorbei, uralten Häusern im Alpenstil,
deren Schornsteine rauchten, im Süden die Bergmassive der Hochries und der
Kampenwand. Sie sahen einen Rotfuchs, ein kleines Rudel Rehe und in der Luft
jede Menge Bussarde.
    »Ich hab mit Karl telefoniert, oder Carlo, wie er sich in Venezuela
nennt. Und hab ihm die Nachricht vom Tod seines Bruders übermittelt. Das hat
ihn ungefähr so getroffen, als wenn ich dir – als wenn ich Ihnen den
Skiunfall meines Nachbarsohns ausführlich schildern würde. Er hat auch nie in
Erwägung gezogen, zur Beisetzung zu kommen.«
    »Und? Bestimmt haben Sie Carlo gefragt, was er von seinem Bruder
hält.«
    »Begabter Angeber«, hat er gesagt. »Seine größte Begabung sei immer
schon gewesen, das viele Geld, das er verdiente, auf der Stelle wieder
durchzubringen. Man konnte grad mal die Hand umdrehen, hat er gesagt, da war’s
Geld schon weg.« Es machte Chili traurig, Eva M. Carlos’ abschließende
Bemerkung wiederzugeben. »Mein Bruder war ein Hochstapler, der die Menschen
betrog, und sich selbst.«
    Eva M. nickte. »Ich hab mir den Stapel Fanpost angesehen, der
heute noch jeden Tag im Hotel eintrifft. Wahnsinn, dass der Mann nicht mehr
daraus gemacht hat.«
    »Einerseits ein aufwendiges Leben, dauernd Frauen, Spielbank,
Devisenhandel, riskante Börsengeschäfte, dicke Autos, das protzige Leben beim
Voglwirt …«
    »Andererseits«, ergänzte Eva M., als wollte sie beweisen, dass
sie verstanden hatte. »Sein nachlassender Erfolg als Künstler.«
    »Genau. Das musste ja irgendwann schiefgehen, oder?«
    Vorsichtig überholte Chili ein Pferdegespann mit Touristen, die
bunte Decken um sich geschlungen hatten. Die Gegend war im Sommer wie im Winter
ein Paradies für Ausflügler.
    Dann waren sie da. Regen prasselte hernieder.
    Vor ihnen erhob sich ein lang gestreckter Bauernhof in L-Form mit
umlaufenden Holzbalkonen. Es gab schneefreie Flächen am Dach, wo kleine Lawinen
abgegangen waren.
    Die Reifen knirschten durch den matschigen Kies, als Chili den
schweren Pick-up auf den Hof fuhr. Ein Haufen Hühner sprang entsetzt zur Seite.
»Japp. In einer halben Stunde sind wir schlauer.« Sie zog die Handbremse an.
    Mehr zu sagen, dazu kam sie nicht, denn der Bauer blickte
feindselig, mit glühenden Augen, durch die Seitenscheibe. Über sein erhitztes
Gesicht rann das Regenwasser. Auf der grauen Gummidecke, die die Beine
bedeckte, hatte sich eine Lache gebildet. Silbernagls Hände ruhten auf den
Greifreifen eines Rollstuhls.
    »Oh-oh«, machte Eva M. »Dem daugn mir net.«
    *
    Die aufgebrochene Tür in Morlocks Wohnung gab den Blick in
ein mittelgroßes, einfach eingerichtetes Zimmer frei. Ein schmales Bett, ein
Tisch, drei Stühle, ein schmaler, halbhoher Schrank, eine Wäschekommode, das
war alles. Licht drang durch ein Fenster, vor dem eine weiße Rolljalousie mit
mehreren defekten Lamellen hing. Der Duft eines eleganten Parfüms lag in der
Luft.
    Ottakring pfiff durch die Zähne. »Oh, da ist er ja.«
    »Was? Wer?«, fragte Bruni verdutzt und meckerte leise.
    »Der Computer. Den ich so vermisst habe. Keine moderne junge Frau
kommt ohne Computer aus. Irgendwo musste sie also einen

Weitere Kostenlose Bücher