Rosenschmerz (German Edition)
schief sitzender Baseballkappe spuckte Ottakring vor
die Füße. War dies der Auslöser oder war es die Kälte? Ottakring merkte auf
einmal, wie sich innerhalb seiner Beckenregion etwas rührte. Schlagartig
erschien ein Bild vor seinen Augen. Vor Jahren in seiner Münchener Zeit hatte er
sich mitten in der Vernehmung eines lang gesuchten Mädchenmörders befunden. Der
Mann war kurz davor, zu gestehen. Da überkam es Ottakring. Er musste pieseln.
Und wie! Es war kaum zu unterdrücken. Hätte er es einfach laufen lassen sollen?
Damals hatte er sich für die zivilisierte Variante entschieden.
Auch nun hatte er einen exakten Plan gehabt, die beiden –
Morlock und Silbernagl – gegeneinander auszuspielen. Er war sich
hundertprozentig sicher, dass die beiden etwas miteinander hatten. Und da sie
so ein Geheimnis daraus machten, musste mehr dahinterstecken als nur eine
einfache Affäre. Morlock war lange geschieden, hatte also familiär nichts zu
befürchten. Und die Silbernagl führte eh einen lockeren Lebenswandel, das war
inzwischen aktenkundig. Also – wo war da der Haken?
»Chili, übernimm du!« Es klang wie ein Flehen. Er hatte Mühe, die
drei Worte trockenen Fußes herauszubekommen.
Die Toilette befand sich auf der obersten Etage.
Ein echter Bayer im weit geöffneten Lodenjanker und mit Hut stand
vor dem Urinal neben ihm. Eine mächtige Wampe wölbte sich zwischen zwei
Hosenträgern hervor. Er beugte sich leutselig zu Ottakring herüber. »Koit
draußen heit, gell?«, bemerkte er und wandte sich wieder seinem Geschäft zu.
Ottakring hatte genug mit sich selbst zu tun.
Da kam der Bayer wieder. »Gscheit koit heit. Wird boid wärmer wern.
Sagt der Radio.«
»Jaja«, ließ Ottakring schwach hören, nur um etwas zu sagen.
»Oiso, backmers wieda«, sagte der Bayer. Seine flache Hand landete
freundschaftlich krachend auf Ottakrings Rücken. »Gehma aussi in d’ Kältn.«
Chili und Eva M. hatten bereits das Wichtigste erledigt.
Katharina gab zu, Morlock den Rosenstrauß mit dem Taxi geschickt zu haben.
Morlock wiederum räumte mehr oder weniger freiwillig ein Verhältnis mit der
Rosenverkäuferin ein. Beide wehrten sich hingegen so vehement gegen die
unverfängliche Bitte, die Wohnung des Professors betreten zu dürfen, dass ein
Durchsuchungsbefehl unausweichlich war. Da steckte mehr dahinter.
»Die Silbernagl ist bei ihrem Onkel untergeschlüpft. Wir sollten
rausfinden, ob es auch Eltern gibt«, ließ Ottakring vernehmen. Er versuchte,
seiner Stimme eine Schärfe zu geben. »Kümmert euch drum.«
»Jawoll, Herr Kriminalrat«, rief Chili übertrieben zackig und brach
mit Eva M. auf, das Rätsel zu lösen.
*
Die Ermittlungsrichterin entstammte, das fiel Kathi sofort
auf, der Generation, die noch Skier aus der Vor-Carving-Zeit gefahren hatte.
Sie musste Modelle mit zweihundertdrei oder zweihundertsieben Zentimetern Länge
gehabt haben. Gut fünfzehn Zentimeter länger als sie selbst.
»Streifen Sie sich die Füße ab, damit kein Dreck ins Sitzungszimmer
kommt«, war das Erste, was die Richterin verlauten ließ. »Setzen Sie sich.«
Ihre Augen funkelten hell, wodurch sie immerfort zornig wirkte. Das Gesicht
erinnerte Kathi an eine beißende Schildkröte.
Das Gespräch war kurz.
»Weil ein Mensch getötet wurde. Weil Ihre Fingerabdrücke brühwarm
neben der Leiche gefunden wurden. Weil Sie sofort nach dem Auffinden der Leiche
Hals über Kopf verschwunden sind.« So lautete die lapidare Antwort der
Richterin auf Kathis Frage. »Also Tatverdacht. Deshalb wurde der Haftbefehl
ausgestellt. Deshalb sind Sie hier. Und deshalb wandern Sie jetzt in
Untersuchungshaft. Paragraf hundertzwölf Strafprozessordnung.«
Als die Richterin sich erhob, schien es Kathi, ihr Kopf stieße an
die Decke.
»Ach ja, das sollten Sie auch noch wissen. Wenn Sie diesen Raum
verlassen haben, werde ich die Durchsuchung der Wohnung von Professor Morlock
anordnen. Sowie die Beschlagnahme beweissichernder Gegenstände.«
Kathi war hart im Nehmen. Die ganze Zeit über hatte sie versucht,
dem empörten Blick der Richterin standzuhalten. Aber jetzt gefror ihr das Blut
in den Adern, wie die Leute so kernig sagen. Sie schob zwei Finger zwischen
Oberteilkragen und Hals, um sich Luft zu verschaffen.
*
Dieser Tag warf sämtliche Wetterprognosen über den Haufen.
Wieder einmal wurden die Meteorologen vom lieben Gott widerlegt.
Es taute. Es regnete. Im flachen Land löste sich der ganze schöne
Schnee in Matsch auf. »Schnee ist doch nur
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