Rosenschmerz (German Edition)
geklärt.«
Ottakring winkte ab. »Aber was andres ist mir zu Ohren gekommen«,
sagte er. »Kollege Specht soll eine recht eigenwillige Version des Falles
Kirchbichler auf den Markt geworfen haben. Wie ich den Laden kenne, spiele ich
sicher wieder einmal eine zweifelhafte Hauptrolle darin.« Er überlegte kurz.
Dann fragte er. »Wo ist der Specht eigentlich? Immer, wenn ich da bin, ist er
weg. Ich würde ihn gerne ein paar Dinge fragen. Dringend eigentlich.«
Schuster wiegte bedächtig den Kopf. »Unterschätzen Sie seine Aufgabe
nicht. Einen Feuerteufel zu fassen ist kein Zuckerschlecken. Fast so verzwickt,
wie einen Mord aufzuklären.«
Ottakring hörte kaum mehr hin. In Gedanken war er schon bei Lola.
»Ist eine Frau einmal pünktlich, hat sie sich in der Zeit
geirrt.« Diesen Spruch hatte er einmal irgendwo aufgeschnappt. Er fand
allerdings, er traf viel besser auf die Bahn zu.
»Achtung an Bahnsteig sieben. Bitte zurücktreten. Zug fährt gleich
ein.« Es war kurz nach halb acht. Um 19:15 Uhr hätte
die Bahn da sein sollen. Ein schräger Wind trieb dünne Flocken vor sich her.
Mit krummem Rücken schlurfte Josef »Joe« Ottakring in kleinen Schritten über
den Bahnsteig. Ihn fror. Er brauchte ein Bett. Zugegeben nicht nur, weil er
fror.
Elegant, mit einem Köfferchen in der Hand, stieg Lola aus. Sie war
eine große, prächtige Frau, die jedem Mann den Kopf verdrehen konnte und bei
jeder Frau eine Spur von Neid auslöste. Eine selbstbewusste Dame mit sicherem
Auftreten. Daran änderte auch der schwarze Augenschutz nichts. Im Gegenteil,
die Klappe verlieh ihr einen verwegenen, geheimnisvollen Touch.
Mit einem leicht provozierenden Lächeln musterte sie ihren Partner
von oben bis unten. »Mei«, sagte sie, »recht viel Verführungskunst wird bei dir
wirklich nicht nötig sein.«
Die folgende Nacht gab ihr recht. Nebel der Zärtlichkeit umfingen
Berge der Sehnsucht und Lust.
NEUNTER TAG
Es war ein Supertag zum Skifahren. Pralle Sonne und eine
Kälte, die einen glauben machte, man würde Eiskristalle statt Luft atmen.
Auf halbem Weg zwischen Kufstein und Scheffau in Tirol wechselten
sie das Steuer. Ottakring wäre beim Überholen in einer scharfen Kurve beinahe
eingeschlafen, denn sie hatten die ganze Nacht kaum ein Auge zugemacht. »Der
Hansi hat die besseren Leih-Ski«, war Lolas Argument gewesen, in Scheffau
anstatt am Sudelfeld zum Skifahren zu gehen.
Zwanzig Minuten in der Brandstadlgondel, dann standen sie oben in
der gleißenden Sonne, umgeben von Holländern und Slawen. Bei jeder Abfahrt
blieb Ottakring wie ein besorgter Vater dicht hinter Lola. So kämpften sie sich
über drei, vier Lifte durch bis zum Cabriohang.
»Kein Skitag ohne Sturz«, rief Lola, bevor sie jubelnd in einer
Wolke von Schnee verschwand. Lachend richtete sie sich wieder auf.
Ottakring ruckelte ihr die verrutschte Augenklappe zurecht. »Wär ein
Supertraining für CSU -Vorsitzende und
Ministerpräsidenten«, sagte er.
»Wie meinst du das?«
»Sie würden lernen, wie man stürzt.«
In Oberbayern leben durchschnittlich zweihundertvierundvierzig
Einwohner auf einem Quadratkilometer. An einem Skilift dagegen stehen
zweihundertvierundvierzig Verrückte auf einem Meter im Quadrat. Live. Das macht
es so interessant. Man erfährt die letzten Neuigkeiten, lernt fremde Sprachen
und befindet sich kostenlos mitten in einer Modenschau. Auf den Hütten wird man
mit den Köstlichkeiten der einheimischen Küche vertraut, dazu der eintönigen
Bergeinsamkeit entwöhnt, und die Damen finden Alternativen zu hoffnungslos
überfüllten Toiletten. Sie rennen aufs Herrenklo.
»Brrr, bin ich froh«, sagte Lola, als sie gegen vier Uhr ihre Ski
und Stiefel beim Hansi wieder entsorgt hatte. Im Apres-Ski-Zelt nuckelten sie
noch an einem zuckersüßen Jagatee herum und schauten zu, wie ihre gequetschten
und gequälten Füße allmählich wieder die Ursprungsform annahmen. Dann fuhren
sie inmitten von Kolonnen von Holländern und Slawen entspannt ins Rosenheimer
Land zurück.
»Paul Silbernagl hat gestanden, Kirchbichler getötet zu
haben!«
Chilis Anruf riss beide aus dem Schlaf. Mühsam hatte Ottakring sich
aus Lolas nächtlicher Umarmung gelöst. Er bereitete Kaffee vor und presste
Orangen aus. Dann zog er sich warm an.
Sie hatten ein Geständnis! Das konnte er nicht allein Chili
überlassen. Das musste er selbst übernehmen.
»Und was mach dann ich?« Es war, als stünde Lola schlagartig unter
Strom. Sie riss ihr eines Auge weit auf, versuchte
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