Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
nur ›eigentlich‹ erledigt. Arbeitet dieser Kerricht denn immer so schlampig?«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete sie. »So genau kenne ich ihn nicht, immerhin arbeiten alles in allem knapp neunzehnhundert Leute fürs Präsidium. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass es mal Ärger mit ihm gegeben hätte.«
»Na ja, aber so was … Da glaubt er einem Zeugen nicht, gibt die Info aber doch weiter, dann wird nur am Telefon nachgefragt, alles wird wieder abgeblasen und dann doch wieder gemeldet, wenn auch nur unter der Hand.«
Er schüttelte den Kopf, in Gedanken kam noch ein Minuspunkt dazu: »Und dann ruft er meinen Stellvertreter daheim an anstatt mich im Büro.«
»Es war wohl schon gegen Mitternacht«, verteidigte sie den Füssener Kollegen, »und wie gesagt: Herr Kerricht glaubte eigentlich von Anfang an nicht, dass an der Zeugenaussage was dran sein könnte …«
»Wissen Sie was? Versuchen Sie mir das gar nicht weiter zu erklären«, sagte Hansen. »Ich guck mir das einfach mal selbst an. Ist ohnehin gerade nichts los, und Lechbruck liegt nicht weit von Füssen, wo ich wohne. Da kann ich gleich mein Gebiet etwas besser kennenlernen.« Er stand auf. »Wer ist denn heute überhaupt gekommen?«
»Außer den Kollegen, die schon mit Fällen befasst sind, vom K1 grad nur Fischer und Haffmeyer.«
Sie musste sich zwingen, ernst zu bleiben: Hanna Fischer und Willy Haffmeyer waren nicht gerade die Leuchten des Polizeipräsidiums. Mit den beiden an seiner Seite würde Hansen sicher gegen die Wand fahren. Geschieht ihm recht, ging es ihr durch den Kopf. Was muss er sich auch auf Hamanns Posten bewerben?
»Gut«, sagte Hansen, »dann weise ich die beiden gleich mal ein.«
Die Scherben der Weinflasche, das Rauschen des Lech, der Blick hinüber zur Brücke – Horst Pröbstl tappte langsam, ganz langsam auf die Spitze der Landzunge zu, wo er gestern gelegen hatte. Hatte er sich etwa nur eingebildet, dass zwei Männer den Ruff in die Zange genommen und ihn einfach über das Brückengeländer in die Tiefe geworfen hatten?
Seit Freddy Kerricht heute früh bei ihm vorbeigeschaut und ihm ordentlich die Meinung gesagt hatte, war sich Pröbstl nicht mehr so sicher. Am Lechufer habe keine Leiche gelegen, sagte Kerricht, keine Spur von Ruff oder sonst wem. Und dass extra zwei Streifenwagen nach Lechbruck gekommen seien, sollte er ihm, Pröbstl, eigentlich in Rechnung stellen. Richtig wütend geworden war der Polizist.
Etwas später hatte Kerricht ihn von der Polizeiinspektion Füssen aus angerufen und ankündigt, dass ihn demnächst vermutlich ein neuer Kommissar von der Kemptener Kripo befragen werde, ein gewisser Hansen. Dann raunte er ihm zu, dem Neuen könne er ruhig die ganze Geschichte noch einmal ausführlich erzählen. Vielleicht nehme der ihn ja ernst, schließlich sei das ein Preuße, da könne man nie wissen.
Pröbstl wurde nicht ganz schlau aus Kerrichts Anruf, aber auf das Gespräch mit diesem Hansen wollte er sich gleich vorbereiten. Er holte eine Flasche aus der Speisekammer und schenkte sich ein großes Glas voll ein.
Das Zimmer lag am Ende des Flurs und war mit den beiden Schreibtischen der Kollegen fast ausgefüllt. Die Fenster waren geschlossen, es roch etwas muffig, und ein Hauch von Nagellackentferner oder Klebstoff hing in der Luft. Im Hintergrund säuselte leise Volksmusik aus dem Radio.
Hansen nickte den beiden zu. Hanna Fischer, einundvierzig und kugelrund, sah dem neuen Chef fragend entgegen und schob die geöffnete Akte etwas von sich weg. Willy Haffmeyer, fünfundfünfzig und auffallend hager, hatte für ihn nur einen gelangweilten Seitenblick übrig und hantierte dann weiter mit der Kurbel seines altmodischen Bleistiftspitzers.
»Frau Fischer, Herr Haffmeyer«, begann Hansen, »ich hätte Sie gerne für eine Ermittlung im Team.«
Haffmeyer verharrte mitten in der Bewegung und sah verblüfft zu seinem Vorgesetzten auf. Fischer stand mit einem strahlenden Lächeln auf, schob ihren Bürostuhl ein Stück auf Hansen zu und bot ihm mit einer Geste den Sitzplatz an.
»Bittschön, Chef«, sagte sie und strahlte noch breiter. »Worum geht’s denn?«
»Wir haben vielleicht einen Mord, vielleicht auch nicht. In Lechbruck will jemand beobachtet haben, wie ein Mann von der Brücke geworfen wurde.«
»Auf welcher Seite der Brücke?«
Haffmeyer hatte eine dünne Stimme, etwas kratzig, und er machte sich erst gar nicht die Mühe, sein überschaubares Interesse größer erscheinen zu lassen,
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