Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
zwanzig Meter die Straße hinunter in der Wiese sitzen. Den Rücken an den Mast einer Straßenlaterne gelehnt, lümmelte er im Gras, rupfte ab und zu ein paar gelbe Blüten ab, roch an ihnen und streute sie langsam in den Wind. Er wirkte traurig, und Haffmeyer wartete ein paar Minuten, bevor er zu ihm hinging.
Dann hockte er sich umständlich neben Hansen ins Gras, nickte ihm nur kurz zu und sah dann ebenfalls still übers Tal. Der Wetterdienst hatte für den Abend Regen vorhergesagt, aber bisher deutete nichts darauf hin, dass die Meteorologen damit richtiglagen.
»Geht’s Frau Schwarzacker wieder besser?« Hansens Stimme klang etwas belegt.
»Ja, ja, die hat sich wieder gefangen. Ihr Mann war daheim und hat nicht schlecht gestaunt, wie wir ihm sein Häuflein Elend gebracht haben. Dann schnell das volle romantische Programm: Umarmung, noch ein paar Tränen, Küsschen hier und Küsschen da, Liebesschwüre mit halb erstickter Stimme. Hanna war ganz fasziniert.«
»Und wo ist die Kollegin jetzt?«
»Ich hab sie beim Käseladen rausgelassen. Sie wollte auch noch dort einkaufen, und wenn Sie ihr Ihre Wünsche per Handy durchgeben, kann sie Ihre Bestellung gleich mitbesorgen. Wir sammeln sie dann auf dem Weg nach Steingaden auf. Wenn wir noch irgendwann bei Gabler ankommen wollen, sollten wir uns beeilen. Irgendwann kommt auch Schairer wieder heim.«
Hansen nickte, stand auf und sah sich nach dem Dienstwagen um.
»Wollen Sie fahren, Chef?«
»Nein, machen Sie das jetzt mal lieber. Ich rufe eben noch bei Frau Fischer an.«
Auf dem Weg zum Auto gab Hansen schnell die Käsebestellung durch.
»Ich habe mich übrigens vorhin noch länger mit Marlene Ruff unterhalten«, berichtete er dann. »Die vermutet, dass ihr Mann auch mit Andrea Schwarzacker rumgemacht hat.«
»Das war auf der Brücke nicht zu übersehen.«
»Das schon, aber ich fand die Reaktion etwas seltsam. Wenn ich schon mit dem Mann einer anderen ins Bett steige, dann knall ich der doch keine, sondern schau zu, dass ich möglichst schnell aus dieser Situation rauskomme, oder?«
»Stimmt«, gab Haffmeyer zu.
»Außerdem hat mir Frau Ruff erzählt, dass seit dem Tag, an dem Andrea Schwarzacker mit dem Reiten aufgehört hat, die Zahl der Reitschülerinnen auf dem Ruff-Hof immer weiter runtergegangen sind. Inzwischen sieht es da ziemlich mau aus.«
»Rache aus enttäuschter Teenagerliebe?«
»Vielleicht. Stellen Sie sich doch Ruffs damalige Situation mal vor: Es läuft nicht mehr viel mit der eigenen Frau, und es steht der Verdacht im Raum, sie werde nur deshalb nicht schwanger, weil er ihr kein Kind machen kann. Das nagt natürlich am Selbstbewusstsein. Zuletzt hat er das wohl mit Kerstin Wontarra kompensiert: Ein paarmal die Woche schleicht er rüber zu seiner Geliebten und genießt es, eine so attraktive junge Frau ins Bett zu bekommen. Vor sechs Jahren hatte er vielleicht keine Freundin und stand möglicherweise … nun ja … unter Druck. Und ständig sind auf dem Hof hübsche Mädchen von siebzehn, achtzehn Jahren um ihn herum, die ihn als Pferdekenner und Chef des Betriebs respektieren oder sogar bewundern. Da fällt mir so etwas wie Teenagerliebe nicht zwingend als Erstes ein.«
Haffmeyer pfiff leise durch die Zähne.
»Das wär ja ein Ding«, murmelte er.
Sie hatten den Wagen erreicht und setzten sich hinein. Hansen ließ das Fenster herunter und schnupperte in der Luft.
»Frisch gemäht, riechen Sie das?«
»Ja, riech ich. Und?«
»Ach, nichts.«
»Was ist denn mit Ihnen? Irgendetwas liegt Ihnen doch auf der Seele.«
»Ja, dieses Elend hier, mitten in der Idylle. Marlene verliebt sich in Thomas, die Eltern überschreiben den Hof dem Schwiegersohn, der peppt das Anwesen auf, und alle sind zufrieden – doch die Geschichte geht schief, und am Ende liegt Thomas tot im Moor und hinterlässt Marlene seine Frauengeschichten und einen Betrieb in finanzieller Schieflage. Hermann bestellt sich im Katalog eine Russin, die er wie einen Knecht hält und, wenn ich mich nicht täusche, regelmäßig schlägt, vielleicht sogar vergewaltigt. Und Andrea ist mit Marco und den Zwillingen glücklich, aber da gibt es eine alte Geschichte, die ihr so sehr zu schaffen macht, dass sie heute heulend auf der Lechbrücke steht.«
Haffmeyer schwieg eine Weile und sagte dann leise: »Warum sollte es hier auch besser sein als anderswo? Nur weil hier die Wiesen grüner und die Berge höher sind?«
Hansen lächelte. »Da haben Sie auch wieder recht. Und jetzt los
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