Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
sehr klein, sehr ländlich, und es gibt dort jede Menge Kirschen. Sogar im Wappen.«
»Und der typische Geruch?«
»Inzwischen hat ein paar Kilometer weiter ein großer Schweinemastbetrieb aufgemacht, das prägt die Gegend jetzt geruchsmäßig, leider.«
Marlene Ruff lachte leise. »Und was mögen Sie am Allgäu?«
»Den Blick auf die Berge, auf einen See oder einen Fluss – gerade so, wie hier jetzt, mit dem Lech dort unten und den Gipfeln in der Ferne. Aber ich mag auch die Gasthäuser mit ihren großen Biergläsern und dem deftigen Essen, den gemütlichen Dialekt der Leute hier, und wenn ich in Füssen aus dem Fenster sehe, und die Sonne taucht Neuschwanstein in dieses unwirkliche Disneylicht … da könnte ich tagelang hinsehen, ehrlich!«
»O je, ein Tourist!«, sagte sie mit gespielter Empörung.
»Stimmt schon. Ich war tatsächlich jahrelang hier im Urlaub, jeden Sommer. Meistens wohnten wir in einer Ferienwohnung, die einem Ehepaar aus der Stuttgarter Gegend gehörte. Sie lag nur ein paar Minuten zu Fuß vom Weißensee weg. War schön da, meiner Frau hat’s auch gefallen.«
»Und wie gefällt’s ihr jetzt, wo Sie nicht mehr nur als Tourist da sind?«
»Keine Ahnung, sie ist nicht mitgekommen.«
»Oh, tut mir leid.«
»Nein, ist schon in Ordnung. Wir haben uns auseinandergelebt, und ich wollte noch einmal von vorne anfangen.«
»Das steht mir auch bevor.« Marlene Ruff wurde wieder ernst und sah nachdenklich auf ihren Hof hinunter.
»Was wollen Sie jetzt machen?«
Sie zuckte mit den Schultern, und Hansen wartete eine Weile, bis er weitersprach: »Klemens Pröbstl hat gesagt: Falls Sie den Hof weiter betreiben wollen, hilft er Ihnen, wo er kann.«
»Das meint er ernst, sehr ernst sogar.«
»Ist er in Sie verliebt?«
»Ich glaube schon.«
»Und Sie?«
»Darüber habe ich mir, ehrlich gesagt, noch gar keine Gedanken gemacht. In mir ist alles voller Wut wegen dieser Kessie, wegen meines Mannes, der mich betrogen hat – und auch Wut auf mich selbst, weil ich sauer auf ihn bin, anstatt anständig um ihn zu trauern.« Sie seufzte. »Das fühlt sich alles total falsch an, Herr Hansen. Aber vielleicht sollte ich lieber darüber nachdenken, wie ich zu Klemens stehe. Vielleicht bringt mich das auf andere, auf bessere Gedanken.«
»Kann gut sein. Und Ihre Abneigung gegen die Pferde? Meinen Sie, Sie könnten den Hof trotzdem betreiben?«
»Tja, bisher ging das ganz gut. Wahrscheinlich müssten wir noch jemanden einstellen, der Klemens draußen und im Stall zur Hand geht. Oder wir machen es wie die meisten Reiterhöfe: Wir nehmen wieder mehr Reitschülerinnen auf und bieten mehr Reitbeteiligungen an.«
»Haben Sie derzeit denn nicht so viele Reitschülerinnen und -schüler?«
»Die Schüler können Sie getrost weglassen: Es sind bei uns ausschließlich Mädchen. Die fangen mit sieben oder acht an, sind dann etwa fünf Jahre mit Feuereifer dabei, bis sie mit zwölf oder dreizehn aufhören. Und meistens kann man drauf wetten, dass sie mit siebzehn, achtzehn Jahren wiederkommen.«
»Und wie viele sind es derzeit im ›Rossparadies‹?«
»Fünf.«
»Ist das wenig?«
»Ja, sehr wenig.«
»Und warum sind es nicht mehr?«
»Es gibt ganz in der Nähe einen zweiten Reiterhof, und auf der anderen Talseite, direkt am Weg zum Premer Filz, steht ein Ponyhof. Vielleicht haben sich die Mädchen mehr dorthin orientiert. Bei uns hat es jedenfalls nachgelassen.«
Hansen wollte noch nachhaken, da sah er, dass Marlene Ruff die Stirn in Falten gelegt hatte und offenbar angestrengt nachdachte.
»Nachgelassen hat es … vor ungefähr sechs Jahren. Oder besser: vor fünf Jahren, elf Monaten und so weiter – Sie wissen schon, was ich meine.«
»Als Andrea Schwarzacker aufhörte?«
»Damals hieß sie noch Röhm, sie stammt aus Urspring.«
»Wie ihr heutiger Mann Marco.«
»Kann sein, den kenn ich nicht.«
»Sie vermuten, dass Ihr Mann Andrea abserviert hat und dass sie sich hinterher an ihm rächen wollte, indem sie den Hof bei den anderen Mädchen schlechtgemacht hat?«
»Vielleicht.«
»Ist Ihnen etwas in der Art zu Ohren gekommen?«
»Nein, aber wenn ich mir überlege, wie lange ich nichts von Kessie gewusst habe … Wahrscheinlich wäre ich auch da die Letzte im Dorf, die davon erfahren würde.«
Haffmeyer fuhr zunächst an seinem Chef vorbei. Erst als er den Kombi in der Einfahrt zu »Ruffs Rossparadies« abstellte und sich umschaute, ob Hansen wohl schon irgendwo auf ihn wartete, sah er ihn etwa
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