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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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die Absicht, jährlich zweihundert bis dreihundert Franken für die Armen zu geben. Man ging mich darüber hinaus für allerlei fromme Gesellschaften an: für die Heiligen-Josephs-Brüder, für die Marien-Schwestern usw. Ich schlug es ab, und von Stund an war ich hundert Unverschämtheiten ausgesetzt. In meiner Dummheit ärgere ich mich darüber. Ich kann morgens nicht mehr Spazierengehen, ohne irgendeinen Verdruß zu erleben, der mich aus meinen Träumereien aufscheucht und mich unsanft an die Alltagswelt und ihre Gemeinheit gemahnt. Bei den Prozessionen zum Beispiel, deren Gesang ich gern höre – wahrscheinlich haben sich in seiner Melodie altgriechische Motive erhalten –, werden meine Felder nicht mehr gesegnet, weil sie einem Gottlosen gehören, wie der Pfarrer zu sagen beliebt. Oder einer alten bigotten Bäuerin stirbt die Kuh. Das kommt natürlich daher, weil das Tier einmal im Teiche des Gutes getränkt worden ist, das dem aus Paris hergezogenen Erzheiden gehört. Acht Tage darauf schwimmen meine Karpfen auf dem Rücken. Man hat sie mir mit Kalk vergiftet. Solche Schikanen umringen mich in jeglicher Gestalt. Der Ortsrichter ist sonst ein ganz anständiger Mensch, aber er hat Angst, abgesetzt zu werden. Er gibt mir immerzu unrecht. So wird mir der ländliche Friede zur Hölle. Sobald es ruchbar ward, daß mich der Pfarrer, das Oberhaupt der Kongregation des Ortes, fallengelassen, und daß mir der Hauptmann a. D., die Seele der Liberalen, wegen meiner politischen Nonchalance nicht mehr die Stange hielt, fiel man allgemein über mich her, selbst der Maurer, dem ich ein Jahr lang das Brot gegeben, und der Stellmacher, der mich unbestraft beim Ausbessern meines Ackergeräts hat beschwindeln dürfen.
    Um wenigstens einen Rückhalt zu haben und nicht ganz rechtlos dazustehen, hielt ich zu den Liberalen. Aber, wie du richtig sagst, die Wahlen kamen, und man bat mich um meine Stimme ...«
    »Für einen dir Unbekannten?«
    »Nein, nein! Für einen, den ich nur zu gut kannte. Ich lehnte ab. Welch große Torheit! Nun habe ich auch die Liberalen auf dem Halse.
    Meine Stellung ist unerträglich. Wenn es dem Pfarrer in den Sinn gekommen wäre, mich zu bezichtigen, ich hätte meine Wirtschafterin ermordet, ich glaube, es hätten sich unter den Klerikalen wie unter den Liberalen je ein Dutzend Zeugen gefunden, die vor Gericht beschworen hätten, die verbrecherische Tat mit angesehen zu haben.«
    »Du wolltest auf dem Lande leben«, meinte der andre, »ohne am Leben und Treiben deiner Nachbarn Interesse zu zeigen, ja ohne ihr Geschwätz anzuhören, das war ein Riesenfehler!«
    »Er soll wieder gutgemacht werden. Schloß Montfleury steht zum Verkauf. Wenn's sein muß, will ich fünfzigtausend Franken dabei fahrenlassen. Ich werde froh sein, wenn ich diese Teufelsecke der Niedertracht und Heuchelei hinter mir habe. Ich will mir Friedsamkeit und Einsiedlertum dort suchen, wo sie einzig und allein in Frankreich gedeihen: im Dachstock eines Hauses von Paris mit dem Blick auf die Champs-Elysees.«
    »Unter Bonaparte wäre dir alles das nicht widerfahren!« rief Falcoz 28 . Seine Augen funkelten vor Empörung und Bedauern.
    »Mag sein!« sagte Saint-Giraud. »Aber warum hat er sich nicht zu behaupten vermocht, dein Bonaparte? Alles, was ich heute zu leiden habe, hat er verschuldet!«
    Jetzt verdoppelte sich Julians Aufmerksamkeit. Seit dem ersten Wort hatte er begriffen, daß der Bonapartist Falcoz der Jugendfreund des Herrn von Rênal war, derselbe, mit dem er im Jahre 1816 gebrochen hatte.
    »Ja, an alledem ist dein Bonaparte schuld!« wiederholte Saint-Giraud. »Seine Geistlichen, seine Edelleute vertreiben einen ehrenwerten wohlhabenden Mann gesetzten Alters aus seinem Ruhesitz!«
    »Ach, sprich nicht schlecht von ihm!« rief Falcoz. »Zu keiner Zeit hat Frankreich so hoch in der Achtung der Völker gestanden wie in den dreizehn Jahren seiner Herrschaft. Es war Größe in allem, was geschah!«
    »Dein Kaiser, den der Teufel holen soll«, widersprach der andre, »war nur groß auf den Schlachtfeldern und damals, als er Frankreichs Finanzen gesund machte, 1802. Doch was soll man zu seiner späteren Aufführung sagen? Sein Hofstaat, sein Prunk, seine Empfänge in den Tuilerien waren eine Neuauflage der monarchischen Maskerade, mit etlichen Verbesserungen, durch die sie sich ein, zwei Jahrhunderte hätte halten können. Aber dem Adel und den Pfaffen war die alte Monarchie lieber ...«
    »Du sprichst da so recht wie ein

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