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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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ehemaliger Buchdrucker!«
    Der andre ließ sich nicht beirren. »Wer verjagt mich denn von meinem Landgute? Die Pfaffen, die Napoleon durch sein Konkordat zurückgerufen hat, anstatt daß er sie wie der Staat die Ärzte, Advokaten und Sterngucker als Privatleute behandelte, die ein Gewerbe betreiben, das den Staat nichts angeht. Und gäbe es heute freche Adelige, wenn dein Bonaparte nicht Barone und Grafen gemacht hätte? Nein! Sie waren abgeschafft! Neben den Geistlichen waren es die kleinen Landedelleute, die mich am meisten schikaniert und mich den Liberalen in die Arme gejagt haben!«
    Diese trübselige Unterhaltung über die politischen Zustände ging ins Endlose weiter. Erstaunt hörte Julian zu. Seine wonnevollen Utopien verflogen. Als die Türme von Paris am Horizont auftauchten, machte dieser Anblick kaum Eindruck auf ihn. Die hohen Erwartungen, die er an seine Zukunft stellte, hatten die frischen Erinnerungen an die letzte Nacht in Verrières noch nicht niedergekämpft. Er gelobte sich, die Kinder seiner Herzensfreundin nie zu vergessen und alles daranzusetzen, sie zu schützen, wenn der Übermut der Pfaffen je wieder eine Revolution und damit eine Verfolgung des Adels heraufbeschwören sollte.
    Immer wieder träumte er sich nach Verrières zurück. Was wäre wohl geschehen, wenn er nach dem Einstieg auf der Leiter das Schlafzimmer der Geliebten von einem Fremden oder gar von Herrn von Rênal besetzt gefunden hätte? Ach, die beiden ersten Stunden, da ihn Frau von Rênal ernstlich wegschicken wollte, als er auf ihrem Bett im Finstern neben ihr saß und sich verteidigte: wie köstlich war das doch! Eine Seele wie die seine konnte solche Erinnerungen nimmermehr vergessen. Die übrigen Stunden der Liebesnacht vermischten sich in seinem Gedächtnisse mit den ersten Zeiten ihrer Liebschaft, vierzehn Monate vordem.
    Aus diesen tiefen Träumereien wurde Julian gerissen, als die Postkutsche haltmachte. Man war eben in den Posthof in der Rousseaustraße eingefahren.
    Er nahm eine Droschke.
    »Ich möchte nach Malmaison!« rief er dem Kutscher zu.
    »Zu dieser Stunde? «Was wollen Sie dort?«
    »Was geht Sie das an? Vorwärts!«
    In Malmaison war er außer sich vor Schwärmerei. Er weinte. Nichts störte ihn. Arcole, Malmaison, Sankt Helena, die ganze große Welt Napoleons umrauschte ihn.
    Am Abend ging Julian nach langem Zaudern in das Theater. Er hatte sonderbare Ansichten über diesen Ort der Verderbnis. Überhaupt ließ ihn tiefes Mißtrauen zu keiner rechten Bewunderung des zeitgenössischen Zustandes von Paris gelangen. Nur die Denkmäler, die sein Heros hinterlassen, hielten ihn in ihrem Banne.
    »Jetzt bin ich also im Mittelpunkt der Kabale und der Heuchelei!« sagte er sich. »Hier herrschen die Gönner des Abbé von Frilair und seiner Geistesbrüder!«
    Am Abende des dritten Tages siegte die Neugier über seine ursprüngliche Absicht, sich erst einmal Paris gründlich anzusehen, ehe er sich beim Abbé Pirard meldete. In kühlem Tone setzte ihm sein ehemaliger Seminardirektor auseinander, welche Lebensverhältnisse ihn im Hause des Marquis von La Mole erwarteten.
    »Sollten Sie sich dort nach ein paar Monaten nicht als brauchbar erweisen«, sagte er unter anderm, »so gehen Sie ins Seminar zurück, ohne daß Sie dabei einen Nachteil erleiden werden. Sie wohnen fortan im Hause des Marquis, eines der Grandseigneurs des Landes. Sie werden schwarz gehen, indessen nicht wie ein Geistlicher, sondern wie jemand, der Trauer hat. Ich verlange, daß Sie sich dreimal in der Woche in einem Seminar einstellen, wo ich Sie einführen werde. Dort setzen Sie nebenbei Ihre theologischen Studien fort. Täglich um zwölf Uhr haben Sie sich in der Bibliothek des Marquis einzufinden. Er beabsichtigt, seine gesamte Geschäftskorrespondenz durch Sie führen zu lassen. An den Rand jedes einlaufenden Briefes macht er ein paar knappe Notizen über die Beantwortung. Ich habe ihm versichert, in einem Vierteljahre seien Sie imstande, die Antworten so aufzusetzen, daß der Marquis von zwölf ihm zur Unterschrift vorgelegten Schreiben mindestens acht oder neun unterzeichnen könne. Abends um acht Uhr haben Sie seinen Schreibtisch in Ordnung zu bringen. Um zehn Uhr sind Sie frei.
    Möglicherweise«, fuhr Pirard fort, »macht Ihnen irgendeine alte Dame oder ein freundlich redender Herr große Versprechungen oder bietet Ihnen einfach Geld, damit Sie die Korrespondenz des Marquis verraten...«
    »Herr Abbé!« unterbrach ihn Julian, schamrot

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