Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
dem. Das wundert Sie? Ja, mein Lieber, wir sind nicht mehr in der Provinz.
    Sie werden in den Salons des Hauses von La Mole manchen hohen Herrn in sonderbar leichtfertigem Tone von unserm Herrscherhause reden hören. Die Frau Marquise hingegen zerfließt in Verehrung des Gottesgnadentums. Ich rate Ihnen nicht, in ihrer Gegenwart zu behaupten, Philipp der Zweite oder Heinrich der Achte seien Unmenschen gewesen. Diese Herren waren Majestäten ! Das gibt ihnen ewige Rechte auf die Ehrerbietung sämtlicher Menschen, insbesondere sämtlicher Menschen ohne Ahnen, wie wir welche sind, Sie und ich. Allerdings sind wir beide Priester. Als solcher werden Sie von ihr behandelt werden. Wir sind sozusagen die Kammerdiener ihres Seelenheils.«
    »Herr Abbé«, erklärte Julian, »ich glaube, ich werde nicht lange in Paris bleiben.«
    »Wir werden ja sehen. Aber vergessen Sie nicht, daß unsereiner nur durch die großen Herren Karriere machen kann. Sie haben, zum mindesten für mich, in Ihrem Wesen etwas Geheimnisvolles und Seltsames. Darum bilde ich mir ein, entweder werden Sie sehr hoch kommen oder sehr viel zu leiden haben. Ein Zwischending gibt es für Sie nicht. Des seien Sie sich immer klar. Die Leute merken, daß Sie am liebsten nicht angeredet sein wollen. In einem sozialen Lande wie Frankreich sind Sie verloren, wenn Sie nicht vor jedermann Respekt zeigen, der Anspruch darauf erhebt. Was wäre in Besançon aus Ihnen geworden, wenn die Laune des Marquis nicht auf Sie geraten wäre? Eines Tages werden Sie begreifen, wie außergewöhnlich das ist, was er für Sie tut, und wenn Sie nicht gerade ein Ungeheuer sind, werden Sie ihm und seiner Familie ewig dankbar sein. Wie viele arme Abbés, gelehrtere Köpfe als Sie, haben lange, lange Jahre ihr Leben in Paris gefristet von den paar Groschen, die einem wissenschaftliche Arbeiten einbringen.
    Ich spreche nur deshalb so ausführlich mit Ihnen, um Sie ein wenig vorsichtig zu stimmen. Noch eins: ich bin leider ein jähzorniger Mensch, und so könnte es sich ereignen, daß wir uns eines Tages entzweien. Wenn Ihnen der Hochmut der Marquise oder die schlechten Späße ihres Sohnes den Aufenthalt in diesem Hause ein für allemal verleiden sollten, so gebe ich Ihnen den Rat: beenden Sie Ihre Studien in einem Seminar nicht allzu weit entfernt von Paris, und zwar lieber im Norden denn im Süden. Im Norden herrscht feinere Kultur, und ...«, das Folgende flüsterte er, » ... ich muß sagen, die Nähe der Pariser Zeitungen hält die kleinen Tyrannen im Zaume.
    Sollten wir aber, was ich hoffe, weiterhin Freude daran finden, miteinander zu verkehren, und das Haus des Marquis gefällt Ihnen eines Tages nicht mehr, so mache ich Ihnen den Vorschlag, mein Vikar zu werden. Wir teilen dann brüderlich, was mir meine Pfarre einbringt. Mein jetziges Einkommen beschämt mich sowieso. Es steht nicht recht im Verhältnis zu meiner Arbeit. Das bin ich Ihnen schuldig, das und noch mehr ...«
    Julian beteuerte, daß er der zum Dank Verpflichtete sei.
    »... Erinnern Sie sich des sonderbaren Anerbietens, das Sie mir in Besançon gemacht haben, als ich mein Amt aufgab? Ich besaß einhundertfünfundsiebzig Taler Ersparnisse, keinen roten Heller mehr oder weniger. Hätte ich nicht einmal die gehabt – und nicht Herrn von La Mole, so wären Sie meine Zuflucht gewesen.«
    Der harte Ton des Abbés war verflogen. Zu seiner größten Verlegenheit vermochte Julian seine Tränen nicht zurückzuhalten. Am liebsten wäre er seinem Freunde um den Hals gefallen. Er nahm sich jedoch zusammen und begnügte sich, ihm so männlich wie möglich zu antworten: »Mein Vater hat mich bereits gehaßt, als ich noch in der Wiege lag. Damit fing das Unglück meines Lebens an. Fortan aber will ich dem Schicksal nicht mehr grollen, denn ich habe in Ihnen, Herr Abbé, einen wirklichen Vater gefunden ...«
    »Schon gut! Schon gut!« unterbrach ihn Pirard verlegen. Just zur rechten Zeit fiel ihm etwas aus seiner Seminardirektorzeit ein. »Übrigens, mein lieber Sohn, dürfen Sie nie sagen: das Schicksal. Sagen Sie immer: die Vorsehung!«
    In diesem Augenblick hielt die Droschke. Der Kutscher hob den bronzenen Türklopfer eines mächtigen Tores. Man war vor dem Palais La Mole. Über dem Portal leuchteten auf schwarzem Marmor die Worte: Hôtel de la Mole.
    Die auffällige Schrift mißfiel Julian. »Diese Leute haben eine Heidenangst vor den Jakobinern. Hinter jeder Hecke sehen sie einen Robespierre mit seinem Henkerskarren. Das ist

Weitere Kostenlose Bücher