Rot und Schwarz
seiner jungen Gattin seinen Hofstaat vorstellte, sagte er: Alle diese Leute sind unsre Domestiken! Ich habe dir die Stelle aus den Denkwürdigkeiten des Barons von Besenval einmal vorgelesen. Sie ist eine gute Richtschnur in Standesfragen. Alles in unserm Hause, was nicht von Adel ist und Gehalt bekommt, ist Dienstbote. Ich werde mit diesem Herrn Julian ein Wörtchen reden und ihm hundert Franken geben.«
»Ach ja«, sagte Frau von Rênal erregt, »aber nur nicht in Gegenwart der Dienstboten!«
»Da hast du recht«, meinte er. »Die könnten neidisch werden. Anlaß hätten sie.«
Damit ging er und überlegte sich, ob hundert Franken nicht eigentlich zu viel seien. Halb bewußtlos vor Schmerz sank Frau von Rênal in einen Lehnstuhl.
»Er wird Julian demütigen, und ich bin schuld daran!«
Sie empfand Abscheu vor ihrem Gatten und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie gelobte sich hoch und heilig, ihm nie wieder etwas zu beichten.
Als sie Julian wiedersah, erbebte sie am ganzen Leibe. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Sie brachte kein Sterbenswörtchen hervor. In ihrer Verlegenheit ergriff sie seine beiden Hände und drückte sie.
»Sind Sie mit meinem Manne zufrieden?« fragte sie schließlich.
»Ich muß es wohl sein«, erwiderte Julian, bitter lächelnd. »Herr Bürgermeister hat mir hundert Franken geschenkt.«
Frau von Rênal sah ihn unschlüssig an. Dann aber sagte sie zu ihm in festem Ton, wie er ihn an ihr noch nicht erlebt hatte: »Begleiten Sie mich!«
Sie wagte einen Gang zum Buchhändler des Ortes, obgleich dieser Mann in dem schlechten Geruche stand, ein Liberaler zu sein. Daselbst suchte sie sich für zweihundert Franken Bücher aus, die sie ihren Kindern schenkte. Jeder der Knaben mußte an Ort und Stelle seinen Namen in die ihm gehörigen Bücher eintragen. Es waren lauter Bücher, von denen sie wußte, daß Julian sie gerne läse.
Während sich Frau von Rênal über die Genugtuung freute, die sie ihm auf diese Art und Weise zu geben den Mut hatte, staunte er die Menge von Büchern an, die er im Laden des Buchhändlers vor sich sah. Er hätte sich niemals erkühnt, einen so unheiligen Ort zu betreten. Sein Herz klopfte ihm. Weit entfernt, zu ahnen, was in Frau von Rênals Gemüt vorging, grübelte er darüber nach, auf welchem Wege es ein angehender Theologe fertig bringen könne, etliche von diesen vielen Büchern in die Hände zu bekommen. Endlich hatte er einen guten Gedanken. Mit einiger Geschicklichkeit ließ sich Herr von Rênal gewiß überreden, daß sich seine Söhne mit der Geschichte der berühmten Edelleute der hiesigen Gegend beschäftigen sollten.
Vier Wochen darauf sah Julian seine Idee verwirklicht, so daß er es nach wieder ein paar Wochen wagte, dem feudalen Bürgermeister weit mehr zuzumuten: nämlich den liberalen Buchhändler abermals in Nahrung zu setzen und ein Abonnement bei ihm zu nehmen. Im Grunde war Herr von Rênal sehr wohl damit einverstanden, daß sein Ältester eine Ahnung von gewissen Werken bekäme, von denen später, auf der Kriegsschule, die Rede sein könnte; aber Julian mußte es erleben, daß sein Gebieter steif und fest behauptete, das gehe zu weit. Julian vermutete einen geheimen Grund, vermochte aber nicht dahinter zu kommen.
Eines Tages fing er abermals davon an.
»Es ist mir hinterher eingefallen«, bemerkte er, »daß der gute Name eines Edelmannes unmöglich in der schmierigen Liste eines Buchhändlers stehen darf.«
Des Bürgermeisters Angesicht hellte sich auf.
Noch untertäniger fuhr Julian fort: »Auch für einen armen Studenten der Theologie wäre es ein ziemlich übel Ding, wenn es sich eines Tages herausstellte, daß sein Name in der Liste einer Leihbibliothek figuriert habe. Die Liberalen könnten mich bezichtigen, die niederträchtigsten Bücher entliehen zu haben. Wer weiß, ob sie sich nicht sogar erdreisten, die Titel solcher verderblicher Werke hinter meinen Namen zu setzen?«
Julian war über sein Ziel hinausgeschossen. Er bemerkte einen Anflug der Verstimmung und Mißlaune in den Zügen des Bürgermeisters. Er verstummte. »Ich fange meinen Mann schon noch«, sagte er sich.
Etliche Tage darauf wollte der älteste Knabe in des Vaters Gegenwart Näheres über ein Buch wissen, das in der
Quotidienne
angezeigt war.
Der junge Hauslehrer sagte bei dieser Gelegenheit: »Wenn den Jakobinern auch nicht der kleinste Trumpf in die Hände gegeben, mir aber doch Möglichkeit geboten werden soll, Adolf hierüber zu belehren, so könnte
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