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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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den geringsten Fehler dabei zu machen.
    »Schön!« sagte Herr von La Mole lakonisch, wie er an diesem Abend war. Bei sich dachte er: »Beim Hersagen entgeht ihm, durch welche Straßen wir fahren.«
    Sie betraten einen großen, ziemlich trübseligen Saal, der bis zur halben Höhe Holzbekleidung hatte und darüber mit grünem Stoff tapeziert war. In der Mitte des Raumes stellte ein mürrischer Lakai eben einen großen Eßtisch auf, den er alsbald in einen Arbeitstisch verwandelte, indem er ihn mit einem großen grünen Tuch bedeckte. Es war voller Tintenflecke und offenbar aus irgendeinem Ministerium geholt.
    Der Herr des Hauses war ein übergroßer Mensch. Sein Name blieb ungenannt. Julian hatte den Eindruck, daß er aussah und redete wie jemand, der seine Mahlzeit verdaut.
    Auf einen Wink des Marquis war Julian am untern Ende des grünen Tisches stehengeblieben. Um dieses Fernbleiben zu motivieren, begann er Federn zu schneiden. Dabei schaute er sich verstohlen um und erblickte sieben Personen, im Gespräch miteinander, aber er konnte sie nur von rückwärts sehen. Zwei von ihnen redeten augenscheinlich mit dem Marquis wie Gleichgestellte, die andern mit mehr oder weniger Respekt.
    Eine neue Persönlichkeit trat ein, ohne daß eine Anmeldung erfolgte. »Sonderbar!« dachte Julian. »Hier meldet man nicht an. Ob man diese Vorsicht mir zu Ehren walten läßt?«
    Sämtliche Anwesende erhoben sich und gingen dem Ankömmling entgegen. Er trug denselben sehr hohen Orden wie zwei oder drei von den Herren, die schon da waren. Man sprach im Flüstertone.
    Julian konnte den Zuletztgekommenen nur nach seinem Gesicht und seinem Benehmen beurteilen. Er war klein und dick, hatte eine rote Hautfarbe und funkelnde Augen. Der Vergleich mit einem wilden Eber drängte sich geradezu auf.
    Julians Aufmerksamkeit ward abermals abgelenkt. Eine gänzlich andersartige Person erschien: ein großer, sehr hagerer Herr, der drei oder vier Westen übereinander trug. Er hatte einen süßlichen Blick und höfliche Manieren.
    »Ganz wie der alte Bischof von Besançon«, dachte Julian. Der dicke Herr war sichtlich ein hoher Geistlicher. Obgleich er nicht viel älter als fünfzig Jahre sein mochte, höchstens fünfundfünfzig, machte er doch den allerwürdigsten Eindruck.
    Jetzt trat der Bischof von **** in den Saal. Julian merkte, wie überrascht der junge Prälat war, als er beim Mustern der Anwesenden den Sekretär erkannte. Seit der Zeremonie zu Hohen-Bray hatte er nicht wieder mit ihm gesprochen. Sein erstaunter Blick machte Julian verlegen und ärgerlich. »Wie mag es nur kommen?« fragte er sich. »Sobald ich jemanden persönlich kennengelernt habe, gereicht mir dies immer zum Nachteil. Alle die hohen Herren, die ich zum ersten Male sehe, genieren mich gar nicht. Aber der Blick dieses jungen Bischofs geht mir durch Mark und Bein. Ach, es ist nicht anders. Ich bin ein Sonderling, ein Unglückskind!«
    Bald darauf kam ein kleiner, auffällig schwarzhaariger Herr geräuschvoll herein. Schon an der Tür begann er zu sprechen. Er hatte eine gelbe Gesichtsfarbe und sah ein wenig verrückt aus. Sofort bei der Ankunft dieses sichtlich berüchtigten Schwätzers bildeten sich Gruppen. Offenbar wollte man seinen Redereien entgehen.
    Die Herren entfernten sich, vom Kamin und näherten sich dem unteren Ende des Tisches. Julian wußte vor Verlegenheit nicht mehr, wie er sich verhalten sollte. Er mochte tun, was er wollte: immer hörte er alles, was gesprochen wurde, und sowenig er auch die Sache im ganzen verstand, war er sich doch bewußt, daß man unverblümt von hochwichtigen Dingen redete, an deren Geheimhaltung den hohen Herren, die er offenbar vor sich hatte, alles gelegen sein mußte.
    Mit möglichster Langsamkeit hatte Julian bereits einige zwanzig Federn geschnitten. Das konnte er nicht gut weiter betreiben. Vergeblich blickte er Herrn von La Mole an, um einen Befehl zu erhaschen. Der Marquis hatte ihn vergessen.
    Julians Verlegenheit wuchs, je merkwürdigere Dinge er vernahm.

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Zweiundzwanzigstes Kapitel
Die Debatte
Die Republik! - Heutzutage kommen auf einen einzigen, der dem öffentlichen Wohl alles zum Opfer bringen könnte, Tausende und Millionen Menschen, die nichts kennen als ihre Freuden und Genüsse, ihre Eitelkeit. In Paris genießt man Ansehen, wenn man schöne Pferde besitzt, nicht etwa, wenn man redlich ist.
    Napoleon, Memorial
    D er Lakai kam hereingestürzt und meldete: »Seine Durchlaucht der Herzog von***!«
    »Halts Maul,

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