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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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altjapanisches Stück«, jammerte sie. »Es stammt von meiner Großtante, der Äbtissin von Chelles. Es war ein Geschenk der Holländer an den Regenten, den Herzog von Orleans. Von ihm bekam es seine Tochter ...«
    Mathilde stellte sich neben ihre Mutter. Sie freute sich, daß die ihrer Ansicht nach mordsgarstige Vase entzwei war.
    Julian blieb stumm und sah durchaus nicht erschrocken aus. Als er Mathilde dicht neben sich bemerkte, sagte er leise zu ihr: »Die Vase ist für ewig dahin, ganz wie das Gefühl, das einst der Gebieter meines Herzens war. Ich bitte Sie um Entschuldigung für alle die Torheiten, zu denen es mich verführt hat.«
    Damit ging er hinaus.
    Als er fort war, sagte Frau von La Mole: »Man könnte wahrhaftig meinen, Herr Sorel sei stolz und zufrieden ob seiner Missetat!«
    Die Worte trafen Mathildens Herz. »Wahrlich«, sagte sie sich, »meine Mutter sagt mehr, als sie ahnt. Stolz und zufrieden ... das ist seine Stimmung!«
    Mit einem Male freute sie sich nicht mehr über die Episode am Abend vorher. »Nun ist alles aus!« sagte sie sich, ihre Ruhe mit Mühe wahrend. »Das soll mir ein warnendes Beispiel sein! Mein Irrtum war schändlich, demütigend. Bis zu meiner letzten Stunde wird er mich vor weiterer Torheit hüten!«
    Julian hinwiederum grübelte bei sich: »Ach, daß ich die Wahrheit gesagt hätte! Die Liebe, die ich für diese Bacchantin gefühlt, sie quält mich noch immer!«
    In der Tat war seine Leidenschaft nicht erloschen, wie er dies erhofft hatte; im Gegenteil, sie machte starke Fortschritte.
    »Mathilde ist toll«, sagte er sich. »Gewiß! Aber ist sie darum weniger anbetungswürdig? Sie ist schöner denn je. Was einem die erlesenste Kultur an lebendigen Freuden nur bieten kann, ist auf das herrlichste in ihr vereint!«
    Die Erinnerung an das vergangene Glück ergriff ihn mit aller Macht und zerstörte ihm alsbald das ganze Werk seiner Vernunft. Der Verstand ist waffenlos gegen solche Erinnerungen, und ernstliche Vorstöße verklären nur ihre Schönheit.
    Vierundzwanzig Stunden nach dem Bruch der alten blauen Vase war Julian entschieden einer der unglücklichsten Menschen.

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Einundzwanzigstes Kapitel
Die Geheimnote
Denn alles, was ich erzähle, habe ich mit angesehen. Und wenn ich mich auch täuschen konnte, als ich es sah, so täuschte ich Sie gewiss nicht, wenn ich's Ihnen berichte.
    Brief an den Verfasser
    D er Marquis hatte Julian rufen lassen. Er sah verjüngt aus. Seine Augen leuchteten.
    »Sie sollen ein wunderbar gutes Gedächtnis haben«, sagte er zu Julian. »Sind Sie imstande, vier Seiten auswendig zu lernen und in London aufzusagen? Wortgetreu?«
    Der Marquis spielte nervös mit der neuesten
Quotidienne
, wobei er sich vergeblich bemühte, seinen auffällig ernsten Gesichtsausdruck aufzuheitern. So ernst hatte ihn Julian noch nie gesehen.
    Julian, Weltmann genug, war sich sofort klar, daß er auf den Plauderton, den Herr von La Mole erkünstelte, eingehen mußte.
    »Diese Nummer der
Quotidienne
ist wahrscheinlich nicht besonders amüsant, aber wenn Eure Exzellenz es gestatten, werde ich sie morgen ganz gehorsamst von Anfang bis zu Ende auswendig vortragen.«
    »So? Auch die Anzeigen?«
    »Zu befehlen! Es soll keine Silbe fehlen.«
    »Können Sie mir darauf Ihr Wort geben?« erwiderte der Marquis, plötzlich unverhohlen ernst.
    »Gewiß, Eure Exzellenz! Nichts als die Angst, mein Wort nicht zu halten, könnte mich aus dem Konzept bringen.«
    »Eins habe ich gestern vergessen, Ihnen zu sagen«, hob der Marquis von neuem an. »Ich fordre keinen Eid von Ihnen, daß Sie niemals davon sprechen, was Sie zu hören bekommen. Ich kenne Sie zu gut, um Sie mit derlei zu kränken. Ich habe mich für Sie verbürgt. Ich werde Sie mit in einen Saal nehmen, wo zwölf Herren zusammenkommen. Sie sollen sich genau merken, was jeder einzelne sprechen wird. Machen Sie sich aber keine Sorge: es wird keine regellose Unterhaltung sein, sondern es wird immer nur einer reden, wenn auch nicht in bestimmter Reihenfolge ...«
    Der Marquis hatte seinen gewohnten leichten vornehmen Plauderton wiedergewonnen, der an ihm die reinste Natürlichkeit war.
    »Während wir beraten«, fuhr er fort, »machen Sie sich Notizen, etwa zwanzig Seiten. Hinterher kommen Sie wieder mit hierher, wo wir diese zwanzig Seiten in vier zusammenfassen. Dies werden die vier Seiten sein, die Sie mir morgen aus dem Kopie hersagen sollen. Also nicht diese ganze
Quotidienne
! Danach werden Sie sofort abreisen, und zwar

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