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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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etwas Nettes sagte, außer wenn ihn irgendein plötzlicher Vorfall ablenkte und er gekünstelt zu sprechen völlig vergaß. Da die Freunde des Hauses sie mit originellen und geistreichen Einfallen nicht verwöhnt hatten, fand sie an diesem Wetterleuchten der Seele Julians um so köstlichere Freude.
    Seit Napoleons Sturz war in den kleinen Städten und auf dem Lande auch die geringste Galanterie streng verpönt. Das hätte Kopf und Kragen kosten können. Die Schelme krochen hinter die Röcke der Geistlichkeit, und die Heuchelei trieb sogar in liberalen Kreisen die schönsten Blüten. Die Langeweile nahm überhand. Man mußte sein bißchen Vergnügen in den Freuden des Landlebens oder in Büchern suchen.
    Frau von Rênal war ob ihrer Eigenschaft als dermalige Erbin ihrer Tante, einer reichen Betschwester, schon mit sechzehn Jahren an den erstbesten Edelmann verheiratet worden. In ihrem ganzen Dasein hatte sie von der Liebe nichts erlebt und nichts erfahren. Der erste, der ihr einen Begriff davon beibrachte, war ihr Beichtvater, der gute Pfarrer Chélan. Das war, als Valenod ihr den Hof machte. Der Geistliche stellte ihr eine Liebschaft als etwas ganz Abscheuliches dar, so daß ihr dies Wort den Gipfel der Verworfenheit bedeutete. Wenn sie in den paar Romanen, die ihr der Zufall in die Hände legte, von Liebesdingen las, so hielt sie dergleichen für Ausnahmefälle oder unmögliche Hirngespinste.
    Dank dieser Unwissenheit war es Frau von Rênals höchstes Glück, sich ohne Unterlaß mit Julian zu beschäftigen. Es kam ihr gar nicht in den Sinn, daß hierbei etwas Tadelhaftes sein könne.

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Achtes Kapitel
Kleine Ereignisse
Then there were sighs, the deeper for suppression,
And stolen glances, sweeter for the theft,
And burning blushes, though for no transgression.
    Byron, Don Juan, I, 74
    F rau von Rênals Engelsgüte, eine Frucht ihres Wesens und ihres gegenwärtigen Glückes, wurde nur dann leicht getrübt, wenn sie an ihre Kammerjungfer Elise dachte. Das Mädchen hatte eine Erbschaft gemacht. Sie war zum Pfarrer Chélan gelaufen und hatte ihm anvertraut, daß sie Julian gern heiraten möchte. Dem Geistlichen bereitete dieses Glück seines Lieblings aufrichtige Freude. Um so maßloser war sein Erstaunen, als ihm Julian entschieden erklärte, daß er auf Fräulein Elisens Antrag nicht eingehen könne.
    »Mein Sohn«, redete ihm der Pfarrer stirnrunzelnd zu, »lassen Sie Ihr Herz sprechen! Ist es lediglich Ihr heiliger Beruf, dessentwegen Sie ein mehr denn auskömmliches Vermögen ausschlagen wollen, so wünsche ich Ihnen eine glückliche Laufbahn. Es sind jetzt sechsundfünfzig Jahre, daß ich hier in Verrières bin. Trotzdem hat es ganz den Anschein, als käme meine baldige Absetzung. Das betrübt mich, obgleich ich eine kleine Jahresrente von achthundert Franken habe. Dies alles erzähle ich Ihnen so ausführlich, damit Sie sich keine falsche Vorstellung von dem machen, was Ihrer im Priesterstande harrt. Wenn Sie die Absicht haben, den Machthabern hienieden zu frönen, so ist Ihnen die ewige Verdammnis sicher. Dann machen Sie Ihr Glück, aber auf Kosten der Unglücklichen. Sie müssen kriechen vor dem Landrat, vor dem Bürgermeister, vor jedem, der etwas darstellt, und den Gelüsten aller dieser Leute Vorschub leisten. Man nennt das Lebensklugheit, und in einem weltlichen Stande schließt dies das Seelenheil nicht unbedingt aus. In unserem Berufe heißt es: entweder – oder . Wir müssen uns entscheiden zwischen dem Glück dieser Welt oder jener. Ein Mittelding gibt es nicht. Gehen Sie, mein lieber Freund, überlegen Sie sich's, und kommen Sie in drei Tagen noch einmal zu mir, mit Ihrer endgültigen Antwort! Zu meinem Schmerze sehe ich in der Tiefe Ihrer Seele eine düstere Glut, die andre Dinge verrät denn das Sichbescheiden und den völligen Verzicht auf irdisches Hab und Gut, wie dies für einen Priester nötig ist. Von Ihren geistigen Fähigkeiten verspreche ich mir viel, aber das muß ich Ihnen als Ihr Seelsorger sagen: Mir bangt um Ihr Seelenheil.«
    Dem guten Pfarrer standen die Tränen in den Augen. Julian war gerührt, aber er schämte sich dieser Rührung. Zum ersten Male in seinem Leben fühlte er, daß ihn jemand liebte. Er weinte aus Glückseligkeit und verbarg sich mit seinen Tränen im Walde oberhalb Verrières. Zu guter Letzt aber fragte er sich: »Was bedeutet mein jetziger Zustand? Ich wäre jede Minute bereit, für diesen braven Mann mein Leben zu lassen, trotzdem er mir eben klargemacht

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