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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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in seinen Gedanken.
    »Ich bin Ihrer also ganz unwürdig?« sagte sie und ergriff seine Hand.
    Julian küßte sie. Aber sofort packte die eiserne Faust der Pflicht sein Herz. »Wenn sie merkt, wie ich sie anbete, verliere ich sie.« Und noch ehe er sie aus seinen Armen ließ, war er wieder im Vollbesitz seiner Manneswürde.
    An diesem Tage und an den folgenden brachte er es zuwege, seine übergroße Glückseligkeit zu verbergen. Es gab Augenblicke, wo er sich sogar die Wonne versagte, die Geliebte in seine Arme zu schließen. Dann aber siegte wiederum der tollste Glückstaumel über alle Warnungen der Vernunft.
    Im Garten gab es eine Laube von Jelängerjelieber. Dort hatte er oft gestanden, hinaufgeschaut nach Mathildens Fenster und geweint über ihre Unbeständigkeit. Eine dicke Eiche hatte ihn vor unberufenen Blicken verborgen.
    Wenn er mit Mathilde an diesem Orte vorbeikam, dem Zeugen seines maßlosen Herzeleids, dann überwältigte ihn der Gegensatz der überstandenen Verzweiflung und seines gegenwärtigen Glückszustandes. In Tränen ausbrechend, nahm er die Hand der Geliebten, preßte sie an seine Lippen und beichtete ihr: »Hier habe ich gestanden und deiner gedacht. Hier hab ich nach deinem Fenster gespäht und stundenlang auf den seligen Augenblick gewartet, da diese Hand den Laden öffnete.«
    Seine Schwäche war grenzenlos. In den Farben der Wahrheit, die niemand erlügen kann, schilderte er Mathilden seine damalige ungeheure Verzweiflung. Dazwischen jubilierte sein jetziges Glück in kurzen Aufschreien, daß jene gräßliche Qual vorüber war.
    Plötzlich kam er zu sich. »Großer Gott, was tue ich!« rief er sich zu. »Ich verderbe mir all mein Glück!« Sein Schreck war derart stark, daß er sich bereits einbildete, in Mathildens Augen das Verflackern der Liebe zu erschauen. Er täuschte sich. Aber sein Gesicht veränderte sich. Er ward totenblaß. Seine Augen verloren im Augenblick ihr Feuer. Hatten sie eben noch von wahrster, sich selbst vergessender Liebe geredet, so sprachen sie mit einem Male von Hochmut, fast von Bosheit.
    »Was hast du, Liebster?« fragte Mathilde in zärtlicher Besorgnis.
    »Ich lüge dir etwas vor!« erwiderte er voll Grimm und Groll. »Ich will es nicht mehr tun! Bei Gott, ich achte dich allzusehr, um dich belügen zu können. Du liebst mich! Du opferst dich auf für mich! Du bist mit mir zufrieden! Was brauche ich dir da etwas vorzumachen?«
    »Allmächtiger!« rief sie aus. »Alle die köstlichen Worte, die du mir in der letzten Viertelstunde gesagt, alles das ist Komödie?«
    »Zu meinem lebhaften Bedauern muß ich mir diesen Vorwurf machen, verehrteste Freundin. Ich habe mir das alles einmal ausgedacht, für eine Frau, die mich ebenso liebte wie langweilte. Das ist ein Fehler meiner Natur. Ich will ihn vor dir nicht beschönigen.«
    Bittere Tränen flössen über Mathildens Wangen.
    Julian fuhr fort: »Immer wenn mich irgendwas verletzt, gerate ich, ohne es zu wollen, in einen traumartigen Zustand. Dann kommt mein abscheuliches Gedächtnis, das ich in diesem Augenblick verfluche, und reizt mich noch mehr. Und ich höre auf diesen Unfug!«
    »Sollte ich unwissentlich etwas getan haben, was dir mißfallen hat?« fragte ihn Mathilde in entzückender Harmlosigkeit.
    »Es kam mir eben in den Sinn«, log Julian, »daß du einmal an dieser Jelängerjelieber-Laube vorbeigegangen bist. Du pflücktest eine der Blüten. Herr von Luz griff darnach, und du ließest sie ihm. Ich stand keine drei Schritte davon...«
    »Herr von Luz? Unmöglich!« beteuerte Fräulein von La Mole in ihrem natürlichen Stolze. »Solche Manieren habe ich nicht.«
    »Und doch war es wirklich so!« versicherte Julian lebhaft.
    »Dann muß es also so gewesen sein, mein Lieber«, gab sie zu und blickte traurig zu Boden. Sie wußte bestimmt, daß sie Herrn von Luz seit vielen Monaten etwas Derartiges nicht erlaubt hatte.
    Julian schaute sie voll unsagbarer Sehnsucht an. »Ich bin überzeugt«, sagte er sich, »sie liebt mich nach wie vor!«
    Am Abend neckte ihn Mathilde mit seiner Vorliebe für die Marschallin. »Ein Bürgerlicher verehrt eine Emporgekommene! Ich glaube, diese Sorte Herzen sind die einzigen, die mein Julian nicht verrückt machen kann. Aber ein vollendeter Dandy bist du ihretwegen geworden!«
    Dies sagend, spielte sie mit seinem Haar.
    In der Tat war Julian in der Zeit, da er sich von Mathilden verachtet wähnte, einer der bestgekleideten jungen Männer geworden. Dabei hatte er etwas vor allen

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