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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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nicht lange! Was hätte es für Sinn? Mein Fehltritt ist nicht wieder gutzumachen. Wenn Du es forderst, so will ich es übernehmen, Dir die Versicherung seiner tiefsten Ehrfurcht zu übermitteln, zugleich mit der Beteuerung, daß es ihm unsagbar schmerzlich ist, Dir Kummer zu bereiten. Du wirst ihn nicht wiedersehen wollen. Aber seine Wege werden immerdar meine Wege sein. Das zu verlangen ist sein Recht und dies zu tun meine Pflicht, denn er ist der Vater meines Kindes.
    Wenn Du die Güte hast, uns jährlich sechstausend Franken zum Lebensunterhalt auszusetzen, so werde ich dies dankbar annehmen. Andernfalls will sich Julian als Lehrer für Latein und Literatur in Besançon niederlassen. Wie tief unten er auch anfangen mag, so bin ich doch sicher, daß er sich emporarbeitet. Mit ihm fürchte ich mich nicht vor der Niedrigkeit. Sollte es eine Revolution geben, so wird er sicher eine der ersten Rollen spielen. Könntest Du ein Gleiches von irgendeinem der andern sagen, die sich um meine Hand beworben haben? Julian würde selbst unter der gegenwärtigen Regierung eine hohe Stellung erreichen, wenn er eine Million und die Fürsprache meines Vaters besäße.
    Der Brief war absichtlich acht Seiten lang. Mathilde wußte genau, daß ihr Vater unter dem ersten Eindrucke ihres Briefes handelte.
    Um die Zeit, da der Marquis den Brief lesen mußte, fragte sich Julian: »Was wird nun? Worin besteht: erstens meine Pflicht, zweitens mein Vorteil? Was ich dem Marquis verdanke, ist unberechenbar. Ohne ihn wäre ich immer noch ein subalterner Schelm, und doch nicht Schelm genug, um mich vor dem Hasse und der Verfolgung der andern zu bewahren. Durch den Marquis bin ich ein Mann der Welt geworden. Wenn ich fernerhin Schelmereien begehen muß, so geschieht dies nur hin und wieder und nicht in plumper Art. Das ist mehr wert, als wenn er mir eine Million geschenkt hätte. Ich verdanke ihm meinen Orden und die Manieren eines Diplomaten. Das wird mich mancher Verlegenheit entheben...«
    Plötzlich wurde er von dem alten Kammerdiener des Marquis unterbrochen: »Der Herr Marquis wünscht Sie sofort zu sprechen, gleichgültig in welchem Anzuge.« Flüsternd setzte er hinzu: »Exzellenz ist maßlos in Wut. Nehmen Sie sich in acht!«
    Es war in der Tat so. Vielleicht zum ersten Male in seinem ganzen Leben war dieser Grandseigneur gemein. Er überhäufte Julian mit allen möglichen Schimpfworten, die ihm gerade in den Sinn kamen.
    Julian war erstaunt und beunruhigt, aber seine Dankbarkeit wankte nicht. Er mußte sich sagen: »Diesem armen Manne brechen mit einem Male hohe langgehegte Pläne zusammen. Ich schulde ihm Rede und Antwort. Wenn ich stumm bleibe, steigert sich nur sein Zorn.«
    Ein klassisches Zitat fiel ihm ein.
    Und so sagte er:
    » Ich bin ein Mensch. 46 Ich habe Euer Exzellenz untertänigst gedient. Ich bin generös bezahlt worden. Ich bin voll aufrichtiger Dankbarkeit. Aber ich bin zweiundzwanzig Jahre alt. Hier im Hause hat mich niemand verstanden, nur Euer Exzellenz und dieses holdselige Wesen...«
    »Bestie!« brüllte der Marquis. »Holdselig, holdselig! An dem Tage, da Ihnen meine Tochter holdselig erschien, hatten Sie sich zum Teufel zu scheren!«
    »Ich habe den Versuch gemacht. Es war damals, als ich bat, nach dem Languedoc gehen zu dürfen.«
    Müde des Hin- und Herrasens und überwältigt von seinem Schmerze, sank der Marquis in einen Lehnstuhl. Julian hörte, wie er halblaut vor sich hinsagte: »Ein böser Mensch ist er nicht!«
    »Nein! Gegen Eure Exzellenz bin ich es nicht!« rief Julian, indem er vor dem Marquis in die Knie sank. Aber alsbald schämte er sich seiner Rührung und sprang schnell wieder auf.
    Der Marquis hatte sich in vage Gedanken verloren. Julians Kniefall brachte ihn wieder zu sich. Von neuem überschüttete er ihn mit den ärgsten Schmähungen, im Tone eines Droschkenkutschers. Gegen seine sonstige Art so zu schimpfen war ihm offenbar eine Erleichterung.
    »So! Meine Tochter soll eine simple Frau Sorel werden und keine Herzogin?« Dieser Zwilligsgedanke, der ihm immer wieder klar zum Bewußtsein kam, verursachte immer neue Wutanfälle, die ihn jedweder Selbstbeherrschung beraubten. Julian fürchtete mißhandelt zu werden.
    In den lichten Zwischenzuständen, in denen der Marquis anfing, sich in sein Unglück zu schicken, klangen seine Vorwürfe bereits ziemlich vernünftig.
    »Sie hätten fliehen müssen, Herr Sorel!« sagte er. »Es war Ihre Pflicht, mein Haus zu verlassen... Sie sind der verworfenste

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