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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Kämpfe waren jetzt noch qualvoller als am Morgen, denn seine Seele hatte Zeit gehabt, in Sturm zu geraten. Er fürchtete, Mathilde könne abermals von ihrer Ehrsucht befallen werden. So gewann er es trotz seiner Liebestrunkenheit über sich, zu schweigen.
    Fräulein von La Mole setzte es durch, daß Julian im Wagen mit nach Hause genommen wurde. Glücklicherweise regnete es stark. Die Marquise bot ihm den Platz ihr gegenüber an und sprach beständig mit ihm, so daß er kein Wort mit ihrer Tochter reden konnte. Es war, als ob die Marquise Julians Glück fördern wollte. Als er nicht mehr fürchtete, durch seine übergroße Erregung alles zu verderben, gab er sich seinem Überschwange hin.
    In seinem Zimmer fiel er in die Knie und bedeckte die Liebesbriefe, die ihm der Fürst Korasoff gegeben hatte, mit Küssen.
    »Genialer Mann, wie danke ich dir!« rief er in seinem Wahnsinn aus.
    Nach und nach wurde er ruhiger. Er verglich sich mit einem Heerführer, der eben eine große Schlacht gewonnen hat. »Der Vorteil ist sicher und gewaltig!« sagte er sich. »Aber was wird morgen werden? Ein Augenblick kann alles verderben.«
    Leidenschaftlich griff er nach den Denkwürdigkeiten , die Napoleon auf Sankt Helena diktiert hat, und zwang sich, zwei Stunden lang darin zu lesen. Aber nur seine Augen lasen. Gleichwohl ließ er nicht ab. Während dieser seltsamen Lektüre arbeiteten sein Kopf und sein Herz im Hochlande des Menschentums, ohne daß er sich dessen bewußt ward. »Mathildens Herz ist ganz anders geartet als das der Frau von Rênal«, sagte er sich. Aber weiter kam er nicht.
    »Ich muß sie in der Furcht lassen!« rief er plötzlich und warf das Buch fort. »Der Feind wird sich mir nur unterwerfen, wenn ich ihm Furcht einflöße. Dann wagt er mich nicht zu verachten.«
    Freudetrunken ging er in seinem Stübchen auf und ab. In Wahrheit bestand dies Glück mehr aus Hoffart denn aus Liebe.
    »Ich muß sie in der Furcht erhalten«, wiederholte er voller Stolz. In der Tat hatte er Grund, stolz zu sein. »Selbst in den seligsten Augenblicken zweifelte Frau von Rênal immer daran, ob meine Liebe der ihren gliche. Hier ist ein Dämon zu unterjochen. Also ins Joch mit diesem Dämon!«
    Er wußte, daß Mathilde am nächsten Morgen um acht Uhr in der Bibliothek war, aber er selber erschien dort erst um neun. Er loderte vor Liebe, aber sein Hirn beherrschte sein Herz. Nicht eine einzige Minute verging, in der er sich nicht wiederholte: »Ich muß sie allezeit in dem großen Zweifel erhalten: Liebt er mich 45 ? Ihre glänzende Stellung und die Schmeicheleien ihrer ganzen Umgebung kühlen sie zu rasch ab.«
    Er fand sie blaß und still auf dem Diwan sitzend, ganz offenbar außerstande, irgendwelche Bewegung zu machen. Sie reichte ihm die Hand.
    »Mein Lieber, ich habe dich beleidigt. Gewiß. Du hast ein Recht, mir böse zu sein...«, sagte sie zu ihm.
    Einen so einfachen Ton hatte Julian nicht erwartet.
    »Sie wollen eine Bürgschaft, mein Lieber«, fuhr sie nach einer Weile Stillschweigen fort, nachdem sie vergeblich gehofft hatte, daß Julian etwas sage. »Das ist gerechtfertigt. Entführen Sie mich! Wir wollen zusammen nach London reisen. Ich bin dann für immer verloren und entehrt...« Sie hatte den Mut, Julian ihre Hand zu entziehen und ihr Gesicht zu bedecken. Alle Gefühle der Zurückhaltung und Weibestugend hatten ihre Seele von neuem erfüllt. »Entehren Sie mich!« fuhr sie schließlich mit einem Seufzer fort. »Dann haben Sie eine Bürgschaft!«
    »Gestern war ich glücklich, weil ich gegen mich streng war«, dachte Julian. Nach einer kleinen Pause hatte er so viel Gewalt über sein Herz, um in eisigem Tone zu erwidern: »Und wenn wir auf dem Wege nach London sind, und wenn Sie entehrt sind, um mich Ihres Ausdruckes zu bedienen: wer steht mir dafür, daß Sie mich lieben, daß meine Anwesenheit Ihnen nicht schon in der Post lästig ist. Ich bin kein Ungeheuer. Sie um Ihren guten Namen gebracht zu haben, das wäre für mich nur ein Unglück mehr. Nicht Ihre Stellung in der Welt bildet das Hindernis, sondern unglücklicherweise Ihr Charakter. Können Sie sich vor sich selber verbürgen, daß Sie mich acht Tage lang lieben?«
    »Ach, daß sie mich acht Tage liebte, nur acht Tage!« seufzte Julian im stillen. »Ich stürbe vor Glück. Was geht mich die Zukunft an? Was liegt mir am Leben? Und dies göttliche Glück könnte jetzt in dieser Sekunde anfangen, wenn ich wollte. Es hängt nur von mir ab!«
    Mathilde betrachtete ihn

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