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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Umbau ins Werk gesetzt habe. Sein einziger Trost dabei war, daß sie die Kosten bestritten hatte.
    Tagtäglich war sie mit ihren Kindern im Baumgarten auf der Schmetterlingsjagd. Man hatte sich große Netze aus heller Gaze hergestellt, mit denen die Lepidopteren gefangen wurden. Diesen barbarischen Namen für die armen Tierchen brachte Julian Frau von Rênal bei. Sie hatte das schöne Buch über die Schmetterlinge von Godart aus Besançon kommen lassen. Danach erzählte ihr Julian von dem merkwürdigen Leben und Treiben dieser Geschöpfe. Sie wurden erbarmungslos auf Nadeln gespießt und in einem großen Kasten gesammelt, den Julian zusammengepappt hatte.
    Nunmehr gab es auch Gesprächsstoff zwischen ihm und seiner Gebieterin, und die schreckliche Qual der Schweigsamkeit zu zweit suchte ihn nicht mehr heim. Sie redeten unaufhörlich miteinander, und zwar mit dem größten Eifer, wenngleich immer von sehr harmlosen Dingen.
    Dieses rege heitere Leben befriedigte alle; nur Jungfer Elise klagte über zu viel Arbeit. »Nicht einmal zum Karneval«, sagte sie, »wenn in Verrières Ball war, hat die gnädige Frau so viel Sorgfalt auf ihre Kleidung verwandt. Sie zieht sich täglich zwei- bis dreimal anders an.«
    Hierzu sei ehrlicherweise bemerkt, daß Frau von Rênal, die wundervolle Haut hatte, mit Vorliebe Kleider trug, die Hals und Arme frei ließen. Da sie prächtig gewachsen war, stand ihr dies entzückend.
    Wenn die Verrièrer Freunde als Tischgäste nach Vergy kamen, sagten sie zu ihr: »Gnädige Frau, Sie sehen jünger denn je aus!« Allerdings war das eine stehende Redensart in jener Gegend.
    So seltsam es klingen mag: Frau von Rênal hatte durchaus keine besonderen Absichten, wenn sie so viel Sorgfalt auf sich verwandte. Es machte ihr Vergnügen. Das bißchen Zeit, das ihr die Schmetterlingsjagd mit den Kindern übrigließ, arbeitete sie mit Elise an neuen Kleidern. Und das einzige Mal, wo sie nach Verrières fuhr, galt dem Kaufe eines Sommerkostüms, des Allerneuesten aus Mülhausen.
    Bei dieser Gelegenheit brachte sie eine entfernte Verwandte von sich mit nach Vergy, Frau Derville 15 , die gleichzeitig mit ihr im Kloster zum Herzen Jesu gewesen war. Nach ihrer Heirat hatte sie sich allmählich mit ihr befreundet.
    Frau Derville hatte immer viel Spaß an den drolligen Einfallen ihrer Base.
    »Wenn ich allein wäre, käme mir derlei gar nicht in den Sinn«, meinte Frau von Rênal. Vor ihrem Mann schämte sie sich nämlich ihrer unvermittelten Anwandlungen. Sie kamen ihr kindisch vor; in Paris hätte man das Bizarrerien genannt. Aber in Frau Dervilles Gegenwart wuchs ihr Mut. Je länger sie mit ihr allein war, um so mehr ging sie aus sich heraus und desto lebhafter wurde sie. Ein ganzer Vormittag verflog den beiden lustigen Freundinnen gewöhnlich, als wäre es nur ein Augenblick. Diesmal fand die kluge Frau Derville schon während der Fahrt von Verrières nach Vergy, daß ihre Freundin wohl nicht so fröhlich wie sonst, aber viel zufriedener sei.
    Julian hingegen war seit Anbeginn des Landaufenthalts wieder ein Kind. Ebenso glücklich wie seine Zöglinge, jagte er mit ihnen hinter den Schmetterlingen her. Nach so viel Zwang, Berechnung und Politik den Blicken der Menschen entrückt, sich selbst überlassen, und instinktiv sicher, daß er von seiner Herrin nichts zu befürchten hatte, verlor er sich in der Freude am Dasein. Sie ist bei einem Neunzehnjährigen nicht gering, zumal in einer der köstlichsten Berglandschaften der Welt.
    Bei Frau Dervilles Ankunft hatte Julian sofort das Gefühl, daß sie seine Freundin sei. Er zeigte ihr alsbald die Fernsicht, die man vom Ende des neuen Weges an den großen Nußbäumen hatte. Wahrhaftig, was man von dort sah, durfte sich mit den herrlichsten Landschaftsbildern in der Schweiz oder an den lombardischen Seen messen! Wer den steilen Hang hinaufklettert, der ein paar Schritte oberhalb der Allee anfängt, gelangt an einen Vorsprung über jähen Klüften. Die Tiefe bis fast hinab zum Fluß erfüllt ein Wald von Eichen. Auf diese Felsenhöhen führte Julian die beiden Freundinnen. Dort fühlte er sich glücklich und frei, als sei er der Herr des Bodens, der König des Landes. Die Schwärmerei der beiden Damen für die Großartigkeit des Ausblickes war sein Ergötzen.
    »Das ist mir wie eine Melodie Mozarts!« rief Frau Derville.
    Das Land um Verrières war Julian verleidet, weil es ihn an die Feindseligkeit seiner Brüder und die Tyrannei seines mißlaunischen Vaters gemahnte.

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