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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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der Zuruf ihm galt. Rasch näherte er sich dem Büfett und dem hübschen Mädchen, als marschiere er gegen einen Feind. Dabei verlor er im Eifer seinen Rucksack. »Ich muß offen mit ihr sein«, nahm er sich vor, indem er sich alle Mühe gab, seine Schüchternheit zu überwinden.
    »Verehrtes Fräulein«, begann er, »ich bin zum erstenmal in meinem Leben in Besançon. Ich möchte gern gegen Bezahlung eine Tasse Kaffee und ein Brötchen.
    Das Fräulein lächelte ein wenig und wurde rot. Es hätte ihr leid getan, wenn der hübsche junge Mensch den Spott und die Witze der Billardspieler auf sich gezogen hätte. Das konnte ihn auf Nimmerwiederkehr verscheuchen.
    »Setzen Sie sich hierher in meine Nähe!« sagte sie und wies auf einen kleinen Marmortisch, der neben dem riesigen, in den Saal hineinstehenden Mahagonibüfett fast verschwand. Sie beugte sich heraus, wobei sie Gelegenheit hatte, ihre prächtige Figur zu zeigen. Julian schaute sie an und bekam verliebte Gedanken. Das schöne Mädchen stellte ihm eine Tasse, Zucker und ein Brötchen hin. Nur zögerte sie, einen der Kellner herbeizurufen, die das Einschenken des Kaffees besorgten. Sie wußte, daß ihr Alleinsein mit dem jungen Mann dann zu Ende war.
    Julian war nachdenklich geworden. Unwillkürlich verglich er die blonde fröhliche Schönheit mit gewissen Erinnerungen, die ihn häufig heimsuchten. Der Gedanke an die leidenschaftliche Liebe, die ihm in Verrières und Vergy zuteil geworden war, nahm ihm fast alle Schüchternheit. Die schöne Blondine schaute ihm einen Moment in die Augen und wußte Bescheid.
    »Es ist rauchig hier. Sie werden Husten bekommen«, sagte sie. »Kommen Sie morgen früh vor acht zum Frühstück her! Da bin ich so gut wie allein.«
    »Wie heißen Sie?« fragte Julian mit dem schmeichlerischen Lächeln beglückter Schüchternheit.
    »Amanda Binet.«
    »Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen etwa in einer Stunde ein kleines Paket, etwa so groß wie dieser Rucksack, zur Aufbewahrung sende?«
    Die schöne Amanda dachte einen Augenblick nach.
    »Ich werde überwacht«, sagte sie, »und so könnte mir Ihre Bitte Unannehmlichkeiten bereiten. Ich will Ihnen aber meine Wohnung auf eine Karte schreiben. Schicken Sie das Paket getrost dorthin!«
    »Mein Name ist Julian Sorel«, erklärte Julian. »Ich habe in Besançon weder Verwandte noch Bekannte.«
    »Ich verstehe«, erwiderte ihm das junge Mädchen erfreut. »Sie wollen hier Rechtswissenschaft studieren?«
    »Ach nein«, antwortete er. »Ich soll aufs Seminar.«
    Amandas Gesicht spiegelte Ihre tiefste Enttäuschung. Sie rief einen der Kellner. Jetzt hatte sie den Mut dazu. Der Herbeigerufene goß dem Gast den Kaffee ein, ohne ihn weiter anzusehen. Amanda hatte Geld einzukassieren, und Julian war stolz darüber, daß er ehrlich zu reden gewagt hatte.
    An einem der Billards entstand Streit. Der Lärm und die lauten Erörterungen der Spieler schallten durch den hohen Raum. Es herrschte ein Mordsspektakel, wie ihn Julian noch nie erlebt hatte. Amanda träumte mit halbgeschlossenen Augen.
    »Wenn es Ihnen recht ist, Fräulein«, begann Julian von neuem, »so will ich sagen, ich sei ein Vetter von Ihnen.«
    Dieser beinahe befehlerisch klingende Vorschlag gefiel Amanda. »Das ist kein dummer Mensch!« dachte sie. Ihre Augen spähten nach allen Seiten aus, ob sich jemand ihrem Schanktische nähere. Ohne Julian anzusehen, gab sie hastig die Antwort: »Ich bin aus Genlis gebürtig, aus der Nähe von Dijon, Sagen Sie, Sie seien auch aus Genlis. Sie seien ein Neffe meiner Mutter.«
    »Das werde ich tun.«
    »Die Herren Seminaristen kommen im Sommer jeden Donnerstag um fünf Uhr an unserm Café vorüber«, erzählte sie.
    »Wenn Sie noch an mich denken, dann halten Sie ein Veilchensträußchen in der Hand, wenn ich vorbeigehe.«
    Amanda sah ihn erstaunt an. Ihr Blick steigerte Julians Mut zur Verwegenheit. Trotzdem ward er über und über rot, als er hinzufügte: »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr Sie mir gefallen. Ich liebe Sie.«
    »Reden Sie nur nicht so laut!« bat sie erschrocken.
    Julian bemühte sich, verliebte Wendungen aus der Neuen Heloise , von der er in Vergy eine zerlesene alte Ausgabe gefunden hatte, in die Erinnerung zurückzurufen. Sein vorzügliches Gedächtnis ließ ihn nie im Stich. Zehn Minuten lang trug er der schönen Amanda aus Rousseaus Roman vor. Er war selig, solchen Mut zu haben, als die hübsche Freigrafschaftlerin plötzlich ein unnahbares Gesicht aufzog. Einer ihrer Verehrer

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