Rot und Schwarz
erschien in der Tür des Cafés.
Pfeifend und mit den Schultern wiegend ging der Ankömmling auf das Büfett zu. Julian bekam einen scharfen Blick zugeworfen. Im Nu füllte sich seine Phantasie, die mit Vorliebe in das Extreme sprang, mit Duellgedanken. Er ward leichenblaß, schob seine Tasse beiseite, nahm eine dreiste Miene an und blickte seinem Rivalen fest in die Augen. Der senkte den Blick und goß sich am Schanktische gelassen ein Glas Schnaps ein. Diesen Moment benutzte Amanda, Julian durch einen Blick zu bedeuten, daß er den neuen Gast nicht fixieren solle. Er gehorchte und saß in den nächsten Minuten unbeweglich auf seinem Platze. Blaß und entschlossen, dachte er nur an die Weiterentwicklung der Szene. Dabei sah er wirklich forsch aus.
Der andre war über Julians Anstarren betroffen gewesen. Nachdem er seinen Likör in einem Zuge hintergegossen hatte, sagte er ein paar Worte zu Amanda, steckte beide Hände in die Seitentaschen seines langen Rockes und schritt, von neuem pfeifend, auf eins der Billards zu, wobei er Julian scharf ansah. Der sprang zornig auf, wußte aber nicht, wie er seinen Rivalen reizen könne. Seinen Rucksack im Stiche lassend, schlenderte er so geckenhaft wie nur möglich ebenfalls an das Billard.
Umsonst warnte ihn seine Vernunft: »Wenn du gleich bei deiner Ankunft in Besançon in Händel gerätst, so verdirbst du dir deine geistliche Laufbahn von vornherein!«
»Meinetwegen!« sagte er sich trotzig. »Aber man kann mir wenigstens nicht nachsagen, ich ließe mir Unverschämtheiten gefallen!«
Amanda durchschaute seine Absicht. Sie fand, sein Mut bilde einen reizenden Gegensatz zu seinem schlichten Wesen. Im Moment gefiel ihr Julian mehr als der bessere junge Herr im langen Rocke. Sie erhob sich von ihrem Stuhle und tat so, als schaue sie jemandem draußen auf der Straße nach. Dabei vertrat sie Julian behend den Weg zum Billard.
»Vermeiden Sie einen Streit mit dem Herrn da! Es ist mein Schwager!«
»Was geht mich das an? Er hat mich fixiert!«
»Wollen Sie mich unglücklich machen?« flehte sie ihn an. »Gewiß hat er Sie angesehen. Vielleicht spricht er Sie sogar an. Ich habe ihm gesagt, Sie wären ein Verwandter meiner Mutter und aus Genlis gekommen. Er ist auch aus der Freigrafschaft, ist aber nie über Dôle hinaus ins Burgundische gekommen. Sagen Sie ihm, was Sie wollen! Sie brauchen keine Angst zu haben ...«
Noch überlegte Julian, aber sie redete rasch weiter. Ihr Geschäft brachte es mit sich, daß sie jederzeit eine Menge Lügen zur Hand hatte.
»Er hat Sie allerdings angesehen, aber nur im Augenblick, als er mich fragte, wer Sie seien. Er ist gegen jedermann flegelhaft. Er hat Sie nicht beleidigen wollen.«
Julian verfolgte den angeblichen Schwager mit seinem Blicke. Er sah, wie er sich eine Nummer zur Poule am hintern Billard kaufte, und vernahm, wie er in herausforderndem Tone rief: »Auf zum Kampf!«
Sofort wollte Julian an Amanda vorbei nach dem Billard stürzen. – Da faßte sie ihn am Ärmel: »Bitte, erst zahlen!«
»So! So!« dachte Julian bei sich. »Sie hat Angst, ich könne durchbrennen.«
Amanda war ebenso erregt wie er und hochrot geworden. Indem sie ihm, so langsam sie nur konnte, Kleingeld herausgab, flüsterte sie ihm zu: »Verlassen Sie augenblicklich das Café – oder ich will nichts mehr von Ihnen wissen. Ich habe Sie sehr gern.«
In der Tat ging Julian, wenn auch zögernd. »Wäre es nicht meine Pflicht«, fragte er sich, »diesen frechen Lümmel zu stellen und ihm ordentlich die Meinung zu sagen?«
Er wußte sich selber keinen Bescheid zu geben. Unschlüssig blieb er noch eine ganze Stunde auf der Straße vor dem Café stehen und paßte auf, ob der Mensch nicht herauskäme. Aber er kam nicht, und so ging Julian schließlich.
Er war erst wenige Stunden in Besançon, und schon war er nicht mit sich zufrieden. Der alte Stabsarzt hatte ihm seinerzeit trotz seiner Gicht etwas Fechtunterricht erteilt. Was er da gelernt hatte, das war die ganze Kunst, die ihm bei einem Ehrenhandel zu Gebote gestanden hätte. Das wäre ihm indessen völlig gleichgültig gewesen, wenn er nur gewußt hätte, wie man jemanden zu einer Forderung nötigt, ohne ihm gerade eine Ohrfeige zu verabreichen. Wenn es bloß zu einer Prügelei gekommen wäre, hätte ihn sein Rivale, ein Riesenkerl, einfach verhauen und auf der Straße liegenlassen.
Da fiel ihm das Seminar ein.
»Für einen armen Schlucker meines Schlages, ohne Gönner und ohne Geld, ist das Seminar
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