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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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verlassen, als der Frömmlerbund zum Herzen Jesu in der Kapelle ein Tedeum anstimmte. Die Abschiedsworte des ehemaligen Direktors hatte niemand ernst genommen. »Seine Dienstentlassung wurmt ihn tüchtig«, hieß es allgemein. Kein einziger Seminarist glaubte an den freiwilligen Abgang Pirards aus einem Amt, das den Inhaber mit reichen Lieferanten in Beziehung bringt.
    Der Abbé Pirard nahm Quartier im besten Gasthofe der Stadt, wo er noch zwei Tage verblieb,, angeblich um Geschäfte zu erledigen. Er hatte keine. Der Bischof lud ihn zum Mittagessen ein. Um den Großvikar zu ärgern, bemühte er sich, seinen Gast in das hellste Licht zu setzen. Als man beim Nachtisch war, lief von Paris die merkwürdige Kunde ein, der Abbé Pirard habe die herrliche Pfarre von N * * *, drei Meilen vor Paris, erhalten. Der gutmütige Bischof beglückwünschte ihn aufrichtig. Er sah in der ganzen Geschichte einen feinen Schachzug , der ihn in die beste Laune brachte und ihm eine hohe Meinung vom Machiavellismus des Abbé einflößte. Er stellte ihm eine vorzügliche lateinische Konduite aus, wobei er dem Großvikar, der Einwände versuchte, Stillschweigen gebot.
    Abends, in einem der vornehmen Häuser der Stadt, wo er eingeladen war, verlieh der Kirchenfürst seiner Bewunderung freimütig Ausdruck. Das war eine bedeutsame Neuigkeit. Man erging sich in allen möglichen Vermutungen über eine so außergewöhnliche Hervorhebung. Schon sah man den Abbé Pirard als Bischof, Besondere Schlauköpfe glaubten, der Marquis von La Mole werde demnächst Minister, und gestatteten sich an diesem Abend ein leises Lächeln über die Wichtigtuerei, die der Abbé von Frilair nicht lassen konnte.
    Am nächsten Vormittag lief man dem Abbé Pirard förmlich auf der Straße nach. Die Kaufleute traten an ihre Ladentüren. Pirard begab sich auf das Gericht, wo er zum ersten Male, seit er mit dem Prozeß des Marquis zu tun hatte, höflich empfangen wurde. Der strenge Jansenist, dem nichts entging, war empört über alles das.
    Nachdem er lange mit den Anwälten des Marquis gearbeitet hatte, fuhr er ab nach Paris. Beim Abschiednehmen von ein paar guten Bekannten hatte er die Schwäche, zu bekennen, daß er sich während der fünfzehnjährigen Leitung des Seminars genau hundertfünfundsiebzig Taler gespart habe. Da umarmten ihn die Freunde unter Tränen. Hinterher sagten sie zueinander: »Diese Flunkerei hätte sich der gute Abbé sparen können. Sie ist wirklich zu lächerlich.«
    Die von Geldgier blinden Durchschnittskreaturen vermochten nicht zu begreifen, daß Pirard die Kraft zu dem zehnjährigen Kampfe gegen die jesuitischen Geheimbündler just aus seiner Ehrlichkeit geschöpft hatte.

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Dreißigstes Kapitel
Ein Ehrgeiziger
Es gibt nur einen Adel: den Herzogstitel. Marquis ist lächerlich, aber beim Wort Herzog blickt man sich um.
    Edinburgh Review
    D er Marquis von La Mole empfing den Abbé Pirard ohne die gewisse Umständlichkeit des Grandseigneurs, die bei aller Höflichkeit dem Kenner doch die Unnahbarkeit verrät. Dazu nahm er sich gar nicht die Zeit. Seine großen Pläne waren so weit gediehen, daß er es nun eilig hatte. Seit einem halben Jahre intrigierte er, um König wie Volk auf ein bestimmt zusammengesetztes Ministerium hinzudrängen. Als Gegenleistung erhoffte er den Herzogstitel.
    Vergebens forderte der Marquis seit Jahren von seinem Rechtsvertreter in Besançon ein ausführliches und klares Gutachten über den Stand seines in der Freigrafschaft geführten Prozesses. Er hatte einen berühmten Advokaten. Aber auch ein solcher kann nicht klar über Dinge berichten, die ihm selber unklar sind.
    Das kleine Blatt Papier, das ihm der Abbé überreichte, brachte die Aufklärung mit einem Male.
    »Mein verehrter Abbé«, sagte der Marquis zu ihm, nachdem er in kaum fünf Minuten sämtliche Höflichkeitsdinge und persönlichen Fragen erledigt hatte, »inmitten meines sogenannten Glückes gebricht es mir an Zeit, mich ernstlich mit ein paar Kleinigkeiten zu beschäftigen, die immerhin nicht so ganz unwichtig sind: mit meiner Familie und meinen Geschäften. Ich sorge im großen ganzen für das Gedeihen meines Hauses. Es ließe sich mehr tun. Ich sorge für mein Vergnügen. Das ist unbedingt die Hauptsache ... in meinen Augen wenigstens.«
    Diese letzten vier Worte setzte er hinzu, als er den verwunderten Blick des Abbé wahrnahm, der bei aller Lebensklugheit in der Tat erstaunt war, einen alten Mann so offen und ehrlich von seinem Vergnügen reden

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