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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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zu hören. Sodann fuhr der hohe Herr fort:
    »Ohne Zweifel wird in Paris gearbeitet. Aber die Arbeit wohnt im Dachstübchen. Jedesmal wenn ich mir jemanden heranziehe, nimmt er alsbald eine Wohnung im ersten Stock, und seine Frau richtet sich Empfangstage ein. Dann ist es vorbei mit der Arbeit. Der Betreffende geht nur noch darauf aus, ein Mann der Welt zu sein oder zu scheinen. Sobald die Leute ihr Brot haben, frönen sie ihrer Eitelkeit.
    Um zur Sache zu kommen: ich habe für jeden meiner Prozesse einen besonderen Anwalt. Diese Leute schinden sich für mich zu Tode. Erst vorgestern ist mir einer an der Lungenschwindsucht gestorben. Aber für meine Geschäfte
en bloc
habe ich seit drei Jahren jedwede Hoffnung aufgegeben – Sie werden es kaum glauben, Herr Abbé  –, einen Menschen zu finden, der bei der Arbeit, die er für mich macht, mit seinen Gedanken einigermaßen wirklich dabeizusein geruht. Übrigens ist das alles nur die Vorrede.
    Ihnen gehört meine Hochachtung, ja, ich wage zu sagen, obgleich ich Sie heute zum ersten Male sehe: meine Verehrung! Wollen Sie mein Sekretär werden? Mit achttausend Franken im Jahre, oder was Sie verlangen? Selbst wenn ich das Doppelte zahle, mache ich immer noch ein Geschäft. Das versichere ich Ihnen. Dabei werde ich es mir angelegen sein lassen, Ihnen Ihre schöne Pfarre offenzuhalten, falls wir eines Tages nicht mehr zusammenpassen sollten.«
    Der Abbé lehnte ab. Doch brachte ihn die offensichtliche Verstimmung des Marquis am Ende auf einen Gedanken.
    »Ich habe im Seminar einen armen jungen Menschen zurückgelassen, der, wenn ich mich nicht täusche, das Opfer aller möglichen Feindseligkeiten wird. Wäre er nicht ein simpler Seminarist, so ruhte er bereits
in pace
. Vorläufig versteht der junge Mann nur Latein und die Heilige Schrift. Aber vermutlich wird er eines Tages große Fähigkeiten entfalten, sei es als Prediger, sei es als Seelsorger. Es ist mir unbekannt, was er werden will. Aber es glüht in ihm das heilige Feuer. Er kann es weit bringen. Ich hatte die Absicht, ihn unserm Bischof zu empfehlen, das heißt, wenn wir einmal einen bekommen, der die Menschen und die Dinge einigermaßen so sieht wie Eure Exzellenz.«
    »Wo stammt der junge Mann her?« fragte der Marquis.
    »Er soll der Sohn eines Holzmüllers aus unsern Bergen sein, aber ich möchte ihn eher für den illegitimen Sprößling irgendeines reichen Mannes halten. Ich habe ihm einmal im Seminar einen Brief eingehändigt mit einem Scheck auf fünfhundert Franken von einem ungenannten oder pseudonymen Absender ...«
    »Aha!« unterbrach ihn der Marquis. »Heißt er Julian Sorel?«
    »Woher wissen Eure Exzellenz seinen Namen?« fragte der Abbé betroffen, schämte sich aber alsbald seiner Frage.
    »Das möchte ich Ihnen nicht verraten, Herr Abbé!«
    »Wie dem auch sei«, fuhr Pirard fort, »das wäre vielleicht ein Sekretär für Eure Exzellenz. Der junge Mann hat Energie und Verstand. Kurzum, es käme auf einen Versuch an.«
    »Warum nicht?« meinte der Marquis. »Hoffentlich ist er keiner von der Sorte, die sich von der Polizei oder von sonst wem bestechen läßt und einem das ganze Haus durchschnüffelt. Das wäre mein einziges Bedenken.«
    Der Abbé Pirard versicherte, dies werde nicht der Fall sein. Der Marquis nahm einen Tausendfrankenschein zur Hand und sagte: »Bitte, senden Sie dies als Reisegeld an Julian Sorel und lassen Sie ihn mir kommen!«
    »Eure Exzellenz sind Pariser«, sagte Pirard, »und kennen die Tyrannei nicht, die auf uns armen Kleinstädtern lastet, insbesondre auf uns Geistlichen, die wir nicht Jesuiten sind. Man wird Julian Sorel nicht fortlassen. Man wird mir allerlei Ausflüchte schreiben. Man wird mir vorlügen, er sei krank. Oder mein Brief sei gar nicht angekommen...«
    »Ich werde dem Bischof von Besançon schreiben«, erklärte der Marquis.
    »Und dann möchte ich noch eine Vorsichtsmaßregel anraten«, begann der Abbé von neuem. »Der junge Mann ist zwar von einfacher Herkunft, aber er hat ein überempfindliches Gemüt. Wenn man sein Ehrgefühl verletzt, ist mit ihm nichts mehr zu machen. Dann wird er halsstarrig.«
    »Das gefällt mir«, meinte der Marquis. »Ich werde ihn meinem Sohn als Kameraden beigeben. Wird das genügen?«
    Einige Zeit darauf erhielt Julian einen Brief von unbekannter Hand mit dem Poststempel Châlons. Er enthielt einen Scheck auf einen Kaufmann in Besançon und die Aufforderung, sich unverzüglich nach Paris zu begeben. Der Brief war offenbar

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