Rot und Schwarz
ungemein«, sagte der Bischof vergnügt. »Es hilft mir aus der Verlegenheit. Ich sinne nämlich seit zehn Minuten nach, wie ich mich Ihnen erkenntlich zeigen könnte für den angenehmen Abend, den Sie mir unverhoffterweise bereitet haben. Ich hätte nicht gedacht, in einem Schüler meines Seminars einen Gelehrten zu entdecken. Wenngleich die Gabe nicht besonders kanonisch ist, so will ich Ihnen doch einen Tacitus verehren.«
Er ließ sich acht prächtig gebundene Bände bringen und schrieb eigenhändig auf das Titelblatt von Band I eine lobesvolle lateinische Widmung für Julian Sorel. Er war stolz auf sein gutes Latein.
Zu guter Letzt sagte er zu Julian in einem Tone, dessen Ernst in merklichem Gegensatz zu seinem bisherigen Plaudertone stand: »Junger Mann, wenn Sie klug und weise sind, so werden Sie eines Tages die beste Pfarre meiner Diözese bekommen, in allernächster Nähe meines Bischofssitzes. Aber Sie müssen klug und weise sein!«
In seltsamer Stimmung, seine acht Bände unterm Arme, verließ Julian um Mitternacht den bischöflichen Palast. Der Kirchenfürst hatte in seiner Gegenwart den Abbé Pirard auch nicht mit einer Silbe erwähnt. Vor allem war Julian voller Bewunderung der Urbanität des Bischofs. Eine solche Feinheit der äußeren Formen, gepaart mit so würdesamer Natürlichkeit, war ihm etwas gänzlich Neues. Dies kam ihm noch mehr zum Bewußtsein, als er im Gegensatz hierzu wieder vor dem griesgrämigen Abbé Pirard stand, der ihn ungeduldig erwartet hatte.
»
Quid tibi dixerunt?
(zu deutsch: Was hat man Ihnen gesagt?)«, rief er ihm laut schon von weitem entgegen.
Julian begann seine Plauderei mit dem Kirchenfürsten in ziemlich konfuses Lateinisch zu übertragen.
»Sprechen Sie französisch und wiederholen Sie mir wörtlich, was Seine Hochwürden alles gesagt hat, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen!« gebot der Exdirektor in rauhem Ton und in seiner Art, die alles andre denn weltmännisch war.
»Eine merkwürdige Dedikation von einem Bischof an einen Seminaristen!« brummte Pirard, indem er die prächtigen Tacitusbände durchblätterte, deren Goldschnitt ihm sichtlich mißfiel.
Es schlug zwei Uhr, als er nach genauer Berichterstattung seinem Lieblingsschüler erlaubte, seine Stube wieder aufzusuchen.
»Das lateinische Lob da von der Hand Seiner Hochwürden wird Ihnen nach meinem Weggang ein Schutzschild sein.
Erit tibi, fili mi, succesor meus tanquam leo quaerens quem devoret
.« (Das heißt zu deutsch: Denn mein Nachfolger wird für dich, mein Sohn, ein Löwe sein, der da suchet, wen er verschlinge.)
Am nächsten Morgen kam Julian das Benehmen seiner Mitschüler nicht wie sonst vor. Er hielt sich desto mehr zurück. »Pirards Entlassung beginnt zu wirken«, dachte er. »Offenbar ist sie bereits allbekannt, und ich gelte ja für seinen Liebling.« Er vermeinte Kränkungen entgegenzugehen; aber er vermochte keine zu erspüren. Im Gegenteil, in keinem Auge aller derer, denen er auf dem Gang durch die Schlafsäle begegnete, fand er eine Spur von Haß. »Was bedeutet das?« fragte er sich. »Das ist gewiß eine Falle. Also Vorsicht!« Da lachte ihn sein kleiner Landsmann aus Verrières an: »
Cornelii Taciti Opera omnia!
(Des Tacitus sämtliche Werke!)«
Auf diese lauten Worte hin beglückwünschte man Julian um die Wette zu dem schönen Geschenk Seiner Hochwürden und besonders ob der zweistündigen Unterhaltung, mit der er ausgezeichnet worden war. Man wußte sogar Einzelheiten. Offenbar hatten die Wände Ohren gehabt, als Julian dem Direktor Bericht erstattete.
Fortan war vom Neid nichts mehr zu merken. Julian ward in der niedrigsten Weise hofiert. Der Abbé Castanède, der ihn noch am Tage vorher unglaublich grob behandelt hatte, nahm ihn am Arm und lud ihn zum Frühstück ein.
Es war ein verhängnisvolles Element in Julians Charakter, daß ihm die Unverschämtheit der groben Naturen Qual und Leid bereitet hatte. Vor ihrer gemeinen Kriecherei empfand er Ekel und keinerlei Genuß.
Gegen Mittag nahm Abbé Pirard Abschied von seinen Schülern, nicht ohne eine ernste Ansprache an sie zu halten. »Wollt ihr die Ehren der Welt einheimsen«, predigte er, »wollt ihr alle sozialen Vorteile, den Genuß, zu herrschen und zu gebieten, sich über die Gesetze hinwegzusetzen und gegen jedermann ungestraft zu überheben? Wollt ihr das, oder wollt ihr euer Seelenheil? Auch der Beschränkteste unter euch ist imstande, klar den Scheideweg zu erkennen ...«
Kaum hatte er das Seminar
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