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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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mit einem fingierten Namen unterzeichnet. Beim öffnen erbebte Julian. Ein Baumblatt fiel heraus. Das war ein mit dem Abbé Pirard verabredetes Zeichen.
    Kaum eine Stunde später wurde er zum Bischof befohlen und von ihm mit geradezu väterlichem Wohlwollen empfangen. Unter Zitaten aus Horaz machte ihm der Prälat geistreiche Komplimente über die glänzende Zukunft, die seiner in Paris harre. Als Dank erwartete er eine Aufklärung. Julian machte keine, vornehmlich weil er gar nichts wußte, aber dem Monsignore imponierte die Verschwiegenheit. Einer der niedrigen Geistlichen der bischöflichen Kanzlei schrieb an den Bürgermeister. Dieser beeilte sich, einen ausgefertigten Reisepaß, auf dem der Name des Reisenden noch einzutragen war, eigenhändig zu überreichen.
    Noch vor Mitternacht war Julian bei Fouqué, der in seiner nüchternen Art über die Wendung im Leben seines Freundes erstaunt, aber nicht entzückt war.
    »Das Ende vom Lied wird sein«, meinte er vom Standpunkt seiner politischen Liberalität, »daß du in den Dienst der Regierung trittst.
    Man wird dich eines schönen Tages zu Dingen mißbrauchen, die in der Presse gebrandmarkt werden. Wenn du am Pranger stehst, werde ich wieder von dir hören. Meiner Ansicht nach ist es selbst in materieller Hinsicht besser, in einem anständigen Holzgeschäft zweitausend Franken im Jahre zu verdienen, dabei aber sein eigner Herr zu bleiben, als viertausend Franken von einer Regierung zu beziehen, und wäre es die des Königs Salomo.«
    In diesen Einreden sah Julian nur die Beschränktheit des kleinen Mannes. Ihm aber schien sich endlich der Weg in die große Welt aufzutun. Nach Paris zu kommen, das er sich von Intriganten und Heuchlern höherer Art bevölkert vorstellte, von Leuten, die ebenso höflich waren wie der Bischof von Besançon und jener Kardinal, der ihm in Hohen-Bray begegnet war: dies Glück verscheuchte ihm alle Bedenken. Er log seinem Freunde vor, er habe sich bereits verpflichtet.
    Am folgenden Tage, gegen Mittag, kam er in der glücklichsten Stimmung in Verrières an. Er hoffte bestimmt, Frau von Rênal wiederzusehen. Zunächst ging er zu seinem ersten Gönner, dem alten Pfarrer Chélan. Der empfing ihn sehr ernst.
    »Glauben Sie mir irgendwelchen Dank schuldig zu sein?« fragte er, ohne Julians Gruß zu erwidern. »Sie werden mit mir frühstücken. Inzwischen wird man Ihnen ein frisches Pferd besorgen, auf dem Sie Verrières verlassen werden, ohne hier irgendeinen Besuch gemacht zu haben.«
    »Befehl und Gehorsam ist eins!« antwortete Julian im Seminaristentone. Des weitern war nur von theologischen Dingen und der alten lateinischen Literatur die Rede.
    Nach dem Frühstück saß Julian auf, trabte eine Stunde weit, bis er an einen Wald kam. Sich vergewissernd, daß ihn niemand beobachtete, ritt er hinein. Als die Sonne unterging, ließ er das Pferd nach der Stadt zu laufen. Etwas später trat er bei einem Bauern ein, erhandelte von ihm eine Leiter und bewog ihn, sie ihm bis an das kleine Gehölz oberhalb der Stadtpromenade von Verrières zu tragen.
    »Wahrscheinlich helfe ich einem fahnenflüchtigen armen Rekruten oder einem Schmuggler«, dachte der Bauer bei sich, als er sich von Julian verabschiedete. »Aber was geht mich das an! Meine Leiter ist gut bezahlt, und ich habe selber in meinem Leben so manchen Sturm erlebt!«
    Die Nacht war stockdunkel. Gegen ein Uhr morgens kam Julian mit seiner Leiter in die Nähe des Rênalschen Hauses. Dort stieg er hinab in die Schlucht des Gebirgsbaches, der in einem zu beiden Seiten ausgemauerten, etwa drei Meter tiefen Bett das Grundstück des Bürgermeister durchfloß. Mit Hilfe seiner Leiter gelangte er in den schönen Garten. Während er Terrasse auf Terrasse, deren Gittertüren alle geschlossen waren, erkletterte, dachte er bei sich: »Wie werden sich die Hunde verhalten? Davon hängt alles ab.«
    Die Hunde, die am Hause lagen, schlugen von weitem an und kamen ihm in großen Sprüngen entgegen. Julian rief sie leise. Wedelnd näherten sie sich ihm. Schließlich stand er unter Frau von Rênals Schlafzimmer, das nach der Gartenseite zu nur zwei bis drei Meter über dem Erdboden gelegen war.
    Die Läden des Fensters hatten einen herzförmigen Ausschnitt. Julian wußte das. Zu seiner großen Betrübung schimmerte durch dieses Loch kein Nachtlampenschein.
    »Allmächtiger!« sagte er sich. »Sollte sie heute nacht woanders schlafen? Wo aber? Die Familie ist offenbar da. Wäre sie in Vergy, so wären die Hunde

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