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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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eine Cola.
    »Zu dieser Jahreszeit kommen nicht viele Touristen«, sagte der Wirt in einwandfreiem Deutsch. Der Mann hatte ein schmales Gesicht mit langem Kinn und tief liegenden Augen. Beim Abtrocknen des Geschirrs streckte er die Ellbogen weg, als versuchte er zu fliegen.
    »Ich bin kein Tourist«, sagte Albin.
    »Sie sind Wiener, ich habe Ihren Wagen gesehen.« Der Wirt grinste, als hätte er Albin bei einer Unanständigkeit ertappt.
    Albin antwortete nicht. Er kämpfte gegen eine Welle von Müdigkeit, die bleiern über ihn herfiel.
    »Im Sommer kommen Deutsche«, fuhr der Wirt fort. »Meistens in ihren Booten.«
    »Ich suche jemanden«, sagte Albin.
    »Ich kenne Österreich«, sagte der Mann, als habe er die Erfahrung gemacht, dass dort jedermann jemanden suche. »Mein Bruder hat dort gearbeitet. Ich selbst war in Düsseldorf.«
    Hinter Albin nahmen einige Männer Platz. »Kennen Sie Olga Dada?«, fragte er.
    Der Wirt stellte eine Tasse auf die Kaffeemaschine.
    »Ihr gehört das alte Boot an der Mole. Ihr Vater lebte darauf. Als der Motor noch lief, fuhr er abends damit aufs Meer, um Geige zu spielen.«
    »Hat er so schlecht gespielt?«
    »Das weiß niemand. Er wollte nur für Gott, die Fische und sich selbst spielen. Er meinte, es würde seiner Musik eine einzigartige Reinheit bewahren, wenn sie sonst niemand hörte. Auch für Olga hat er nicht gespielt. Er hat es ihr nur beigebracht.«
    »Seltsam.«
    »Er war von hier, von der Insel.«
    »Ist er gestorben?«
    »Seit zehn Jahren ist der Motor des Schiffes verrottet«, erwiderte der Mann. »Danach fuhr er noch sieben Jahre lang mit dem Schlauchboot hinaus. Nun liegt er auf dem Dorffriedhof. In seinen Grabstein ist eine Geige eingraviert. Seine Musik ist jetzt heilig.«
    »Was heißt das?«
    »Wir hören sie, wenn wir bei Dunkelheit und bei Nebel ausfahren.«
    »Wie klingt sie?«
    »Ich weiß es nicht. Nur die alten Fischer haben Ohren dafür. Es steht auch schon in unserem Reiseführer für die nächste Saison. Was wollen Sie von Olga?«
    Albin rückte sich auf seinem Barhocker zurecht. Er merkte, dass er immer weiter zusammengesunken war. Er drohte mitten im Satz einzuschlafen. »Sie hatte hier einen Freund untergebracht«, sagte er. »Er heißt Ronald Markovics. Ich möchte sehen, wo er gewohnt hat.«
    Der Wirt stellte Bierflaschen auf ein Tablett und brachte sie den Männern hinter Albin. »Die Menschen hier können sehr verschlossen sein«, sagte er, zurück hinter der Theke. »Hatte Olga hier wirklich jemanden untergebracht?«
    Albin merkte, dass die Männer hinter ihm dem Gespräch lauschten. Anscheinend übersetzte einer für die anderen. »Markovics lebte zwei Jahre lang hier«, sagte er. »Vielleicht auf einer kleinen Insel in der Umgebung.«
    »Dann brauchen Sie die Koordinaten der Insel und ein Satellitennavigationssystem.«
    »Oder jemanden, der mich führt.«
    »Wer soll Sie zu einem Platz führen, an dem ein Mann gelebt hat, von dem niemand etwas weiß?«
    »Olga Dacia wäre es wichtig.«
    »In diesem Ort denkt man, dass viele Dinge wichtig sind«, sagte der Wirt. »Man denkt, dass das Geigenspiel des alten Dacia den Fischen wichtig war.«
    »Wer könnte mich führen?«, fragte Albin. Er hing schon wieder schief auf seinem Hocker. »Es kann nicht unendlich viele bewohnbare Inseln geben.«
    »Nur manche sind bewohnbar«, bestätigte der Wirt. »Die Bauern haben früher im Winter ihr Vieh auf großen Booten dorthin gebracht. Es konnte dort unbewacht weiden. Auf manchen Inseln stehen Häuser, die vom Ufer nicht zu sehen sind. Sie liegen im Inneren, in Talsenken und inmitten kleiner Baumgruppen.«
    »Ronald Markovics ist tot«, sagte Albin.
    Den Mann schien das nicht zu überraschen. Anscheinend betrachtete er »tot sein« als einen alltäglichen Zustand, wie müde sein, beschäftigt sein oder auf Urlaub sein. Albin zog den Schluss, dass die örtliche Polizei wohl schon informiert war.
    »Was wollen Sie von einem Toten noch?«, fragte der Wirt.
    »Er wurde ermordet.«
    Auch das entlockte dem Wirt nicht einmal ein Achselzucken.
    »Ich suche seinen Mörder«, sagte Albin.
    Jetzt nickte der Wirt, als hätte auch er schon oft Mörder gesucht.
    »Ich bin Journalist«, sagte Albin. Er erinnerte sich an das blasse Gesicht in seinem Rückspiegel. Er fragte sich, welchen Eindruck er hier machte. »Wie finde ich hier Unterstützung?«
    »Sie müssen das Vertrauen der Menschen gewinnen.«
    »Ich muss morgen wieder in Wien sein.«
    »Ein reicher Österreicher mit

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