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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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Slowenien. »Tun Sie Ihrem Heimatland einen Gefallen und verschrotten Sie die Kiste da drüben.« Sein slowenischer Kollege schien genau das zu befürchten und war entsprechend misstrauisch.
    Als Albin in das ihm völlig fremde Land fuhr, überfielen ihn zum ersten Mal Zweifel. Was er tat, war vermutlich verrückt. Er wusste kaum, wohin er unterwegs war. Wie sollte er die Spuren von zwei Toten in einem Land mit ein paar hundert Inseln finden, in dem er nicht einmal den Namen der Währung kannte?
    Als er sich der kroatischen Grenze näherte, hing für ein kurzes Stück die aufgehende Sonne wie ein aggressiver Fahrer in seinem Rückspiegel. Wenig später lag dunkelblau und mit weißem Wellenschaum verziert das Mittelmeer rechts von ihm. Er kannte es bisher nur vom Baden in Triest. Er hatte noch immer keine genaue Vorstellung, was er außer Muscheln am Strand finden sollte. Doch er fuhr weiter.
    Draußen wurde es allmählich warm wie am Morgen eines späten Augusttages in Österreich. Kurz nach Vodice schlurfte ein alter Mann die Straße entlang. Er ging leicht vornübergebeugt, sein Haar war weiß und er trug einen ausgefransten Arbeitsanzug. Der Alte gab ein Handzeichen, das Albin nicht zu deuten wusste. Vielleicht fuhr er zu schnell, vielleicht wollte der Mann auch mitfahren.
    Für alle Fälle hielt Albin an. Er merkte dabei, dass er für die Verhältnisse seines Autos und der Straße tatsächlich viel zu schnell unterwegs gewesen war. Im Rückspiegel sah er den einsamen Wanderer näher kommen. Dessen ledernes Gesicht war gleichmütig. Er beschleunigte seinen Schritt wegen Albin kein bisschen. Schließlich klopfte er auf das Autodach und zeigte nach vorne. Er sagte dabei ein Wort, von dem Albin nicht wusste, ob es eine Begrüßung, eine Aufforderung, ein Dank oder der Name einer Ortschaft war.
    Albin nickte und der Mann stieg ein. Als Erstes bückte er sich, hob den Knopf des Radios auf, steckte ihn auf den dafür vorgesehenen Holm und schaltete es ein. Ein wildes Rauschen erklang.
    Ein Engel, dachte Albin. Ein Gesandter des Himmels. Er drehte an dem Knopf, bis sich ein Lied mit vielen Konsonanten im Text aus dem Rauschen schälte. »Rumin?«, fragte er.
    Der Mann nickte und klopfte ungeduldig auf die wackelige Innenverkleidung des Wagens. Als versuchte er schon die ganze Zeit, Albin genau das klar zu machen.
    Die Insel Rumin ist durch eine lange Brücke mit dem Festland verbunden. Als sie darüber rumpelten, wollte der Alte Albin unbedingt seine Familienfotos zeigen. Verknittert steckten sie in seiner Brieftasche. Albin wäre fast gegen die Leitplanke gekracht. Erkennen konnte er nichts auf den Bildern. Sie waren zu vergilbt. Albin zeigte dem Mann im Gegenzug ein Foto von Arko, das noch in der Innentasche seiner Jacke steckte. Der Mann stieß ein Bellen aus. Beide lachten.
    Am anderen Ende der Brücke deutete der Alte auf den Boden des Citroën und hob den Daumen. Offenbar war er der Meinung, dass dies ein ausgezeichneter Wagen war. Albin hob ebenfalls den Daumen. Er sah dabei sein eigenes Gesicht im Rückspiegel und erkannte es kaum wieder: Die Ringe unter seinen Augen sahen wie geschminkt aus. Er war leichenblass.
    Kurz nach neun Uhr kamen sie am Hafen von Rumin an. Die Luft roch nach Salz, Fisch und Kräutern. An der einzigen Mole lagen die Boote, mit denen die meisten Bewohner des kleinen Dorfes ihr tägliches Auskommen verdienten: Sie fingen Tintenfische, Hummer und Langusten. Sie wohnten in Steinhäusern mit kleinen Gemüsegärten und Dächern aus Schiefer. Nur wer sich einige Jahre als Gastarbeiter im Norden verdungen hatte, besaß ein modernes Haus.
    Albin parkte den Citroën neben einem fast ebenso verbeulten Skoda. Der Alte verschwand, als wäre er tatsächlich ein Engel und zurück in den Himmel gefahren.
    Albin schlenderte über den Hauptplatz und sah sich um. Die Dorfbewohner hielten von Sonntagsfeierlichkeiten offenbar wenig. Viele trugen Trainingsanzüge oder Arbeitshosen. Auch sonst rüsteten sie sich für einen ganz normalen Tag: In einem Friseurladen hackte der Meister Holz für seinen Ofen, auf einem langen Steintisch wurde der Fang des frühen Morgens feilgeboten und ein Wirt trug weiße Plastikstühle ins Freie.
    Albin betrat das Lokal. Seine Augen mussten sich erst an die Dämmrigkeit der Gaststube gewöhnen. Die erinnerte mit ihrem Interieur aus künstlichem Mahagoni und den Tassen oben auf der Kaffeemaschine an ein Wettlokal in der Wiener Vorstadt. Albin nahm an der Theke Platz und bestellte

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