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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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hatte Albin noch die Arme um den Leib geschlungen, doch bald saß er locker, wenn auch völlig entkräftet, auf seiner Bank. Gelegentlich fiel sein Kopf zur Seite. Der Alte schien unsichtbaren Straßen im Wasser zu folgen. Zuerst fuhr er geradewegs auf das offene Meer hinaus, dann bog er nach Osten ab. Er schlug noch weitere Haken, bei denen sie die Küste nie ganz aus den Augen verloren.
    Albin nickte ein paarmal ein. Nach dem zweiten Mal konnte er ihre Fahrzeit nicht mehr abschätzen. Zwischen schroffen Inseln ohne jedes Leben begriff Albin, dass er dem Fischer hilflos ausgeliefert war. Ausgesetzt würde er hier sterben wie ein Tier. Seine Leiche würde nie gefunden werden.
    Das Meer änderte ständig die Farbe. Je nach Wassertiefe schwankte sie zwischen hellem Türkis und Dunkelblau. Der alte Mann saß mit unbewegtem Gesicht im Heck des Bootes. Schließlich steuerte er auf ein zerklüftetes Eiland mit etwas üppigerem Grün zu. Hinter einigen Reihen Macchie und einer verdorrten Wiese warf eine kleine Piniengruppe ihren Schatten. Die Ränder der Insel senkten sich mit sanftem Gefälle in das Wasser.
    Der Außenborder tuckerte mit sattem Geräusch vor sich hin. Albin ließ die Hand durchs Wasser gleiten und benetzte seine Stirn. Die Wassertropfen glitzerten in der Sonne wie Halbedelsteine.
    Sie umrundeten die Insel in langsamer Fahrt. Auf ihrer Rückseite führte ein dunkelblauer Wasserstreifen bis zum Ufer. Ein Geröllhaufen entpuppte sich als grobe Hafenmauer. Jemand hatte in mühevoller Arbeit Stein auf Stein gelegt und so ein Versteck für Boote geschaffen.
    An Land schritt der Alte ohne Rücksicht auf Albins Wackeligkeit zügig voran. Er folgte einem Pfad ins Inselinnere. Bei jedem Schritt hörte Albin das trockene Gras unter seinen Füßen knistern. Nach zehn Minuten tauchte im bewaldeten Teil der Insel ein Schieferdach mit einem gemauerten Rauchfang auf.
    Das Haus darunter war aus groben Steinen gebaut. Es hatte hölzerne Fensterrahmen mit eisernen Kreuzen und eine Tür aus dunkler Eiche. An die Hauswand waren Zirbenscheite geschichtet. Nahe einem verrenkten Olivenbaum stand ein alter Brunnen. »Sehr idyllisch«, sagte Albin, der einen Moment lang vergaß, dass der Alte kein Deutsch sprach.
    Sein Begleiter sah ihn fragend an. Albin hob den Daumen. Der Fischer nickte und sie gingen weiter.
    Albin wusste die ganze Zeit, dass er am Ziel war. Obwohl, wie er sich jetzt eingestand, diese Mission von Anfang an glatter Irrsinn gewesen war. Er dachte an Sarahs Worte: Wenn einer wie du etwas anfängt, kommt immer etwas dabei heraus. Mit torkelndem Schritt strebte er vorwärts. Blut schoss in sein zuletzt schon maskenhaft totes Gesicht.
    Die Haustür war nicht abgeschlossen. Albin sah sich nach dem Alten um. Der war weg. Albin trat ein. Vor ihm lag ein niedriger Wohnraum mit schmucklosen Steinwänden und einem Boden aus gestampfter Erde. Darüber lastete schwer eine Balkendecke, die von der offenen Feuerstelle schwarz war. Das Zwielicht wurde von zwei Lichtstreifen in Fensterbreite durchkreuzt, als hätte ein Sonnengott den Raum durchgestrichen.
    Albin drang weiter vor. Bei der Feuerstelle lagen Scheite von dem Stapel an der Hauswand und ein eiserner Schürhaken. In der Mitte stand ein dunkelbrauner Kieferntisch, dessen Bretter durch Alter und Abnutzung wie Treibholz aussahen. Ein Laptop stand dort. In seiner archaischen Umgebung wirkte der Computer wie von einem anderen Stern. Das Gerät hing an einem Kabel, also musste es einen Stromgenerator geben.
    Rechts von der Tür stand ein roh gezimmertes Bett. Albin dachte bei seinem Anblick weder an Mörder noch an Opfer. Er wollte nur schlafen. Er konnte sich nicht erinnern, je eine Vorstellung ähnlich verlockend empfunden zu haben. Gleich darauf war er wieder hellwach, auf eine ungesunde, im Kopf schmerzende Art. Der Grund dafür war ein Bild an der Wand. Er konnte nicht glauben, was er darauf sah.
    Er trat näher heran. In dem hübschen Glasrahmen steckte ein Foto. Nein, er irrte sich nicht. Er war vielleicht noch betrunken, doch er hatte keine Halluzinationen. Als hätte ihm der Mann auf dem Bild einen Stoß versetzt, taumelte Albin zurück.
    Er hätte alles erwartet, sogar die Fotografie eines Schweins mit aufgeschlitzter Kehle oder die von einer Kreuzigung. Doch hier hing ausgerechnet eine Aufnahme von Damian Bergmann. Der Chefinspektor saß in einem der weißen Plastikstühle vor der Bar, in der Albin selbst eingekehrt war. Der Polizist lächelte freundlich in die

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