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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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wie eine schwärende Wunde.
    Mutt wendet sich an die Menge – die meisten sind Touristen. »Was meint ihr? Soll ich das schnellste Pferd auf der ganzen Insel mal galoppieren lassen? Er ist eine Legende, was? Ein Held. Ein Nationalheiligtum. Wer kennt seinen Namen nicht?«
    Die Leute klatschen und johlen. Sean steht vollkommen starr, als wäre er mit der Klippe verschmolzen.
    »Seinen Namen kenne ich!«, rufe ich und meine Stimme ist so laut, dass ich selbst überrascht bin. Mutts Blick findet mich neben Sean. »Aber wie ist deiner noch mal?«
    Ich schenke ihm mein grausamstes Lächeln, das mich meine Kindheit mit zwei Brüdern gelehrt hat.
    Als Mutts Gesicht vor Wut rot anläuft und sich in der Menge amüsiertes Gemurmel erhebt, fällt mir, zu spät, Dory Mauds Warnung wieder ein.
    »Ach, und wo hast du dein Pony gelassen?«, höhnt Mutt zurück. »Muss es noch ein paar Felder pflügen?«
    All die Aufmerksamkeit macht mich verlegener als Mutts Beleidigung. Womöglich weil ich später, wenn ich hier unten fertig bin, wieder an Dory Mauds Stand stehen und den Touristen irgendwelchen Trödel verkaufen werde. Dann aber geht mir auf, dass Mutt Malvern mich gar nicht gut genug kennt, um mich wirklich zu verletzen.
    Doch ich bin auch nicht diejenige, die er verletzen will. Er ruft: »Ich muss schon sagen, Kendrick, freut mich für dich. Reitet sie sich noch besser als dein Gaul?« Er tut so, als wollte er Corrs Hinterteil streicheln. Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden. Doch in Seans Gesicht regt sich nichts, was ich nur bewundern kann – macht das vielleicht die Übung? Hat er solche Dinge einfach schon zu oft gehört, als dass sie ihm etwas anhaben könnten?
    Corr bewegt sich rastlos unter Mutt. Er streckt den Kopf vor und reibt seine Nase an Prince Brust. Prince krault ihm kurz die Stirn und drückt ihn dann zurück.
    »Ganz ruhig, alter Junge«, sagt er. Dann legt er den Kopf in den Nacken und sieht zu Mutt hoch. »Willst du ihn jetzt noch laufen lassen? Bevor das Wasser zu hoch steht?« Während er redet, stößt Corr ihm abermals die Nase vor die Brust, diesmal nachdrücklicher, sodass seine Glöckchen klingeln, und Prince schiebt ihn wieder von sich weg.
    »Na, und ob«, entgegnet Mutt. Er zieht an einem der Zügel, um Corrs Aufmerksamkeit zu erregen; Corr drückt Prince immer noch seine Nase in die Brust. Ich sehe, wie Corrs Haut unter dem mit Eisen gespickten Brustriemen erschaudert.
    »He, genug jetzt«, sagt Prince. Corrs Schnauze erkundet inzwi-
    schen sein Schlüsselbein, so wie Dove es bei mir tut, wenn ich ihr die Mähne kraule und sie mir ihre Zuneigung zeigen will. Prince legt eine Hand flach auf Corrs Wange, während Corr gegen seinen Hals schnaubt.
    Seans Füße wirbeln Sand auf, als er nach vorne stürzt und schreit: »David!«
    Prince blickt zu ihm auf.
    Mit der Wendigkeit einer Schlange gräbt Corr seine stumpfen Zähne in Prince' Hals.
    Mutt Malvern reißt an den Zügeln; Corr hebt sich auf die Hinterbeine. Die Menge rennt schreiend auseinander. Die anderen beiden Männer, die mit Mutt gekommen sind, machen einen Satz nach hinten, unsicher, ob sie lieber sich selbst in Sicherheit bringen oder Mutt helfen sollen. Sean bleibt abrupt stehen, das Gesicht von dem aufstiebenden Sand abgewandt. Auf dem Boden krümmt sich Prince und strampelt wild mit den Beinen. Ich kann nicht wegsehen.
    Corr steigt noch einmal und diesmal kann Mutt sich nicht mehr auf ihm halten. Er rollt sich außer Reichweite von Corrs Hufen, und als er aufsteht, ist er voller Blut. Aber es ist Prince' Blut, nicht seins. Die Augen des Hengstes sind weiß und rollen wild in ihren Höhlen, als er herumwirbelt. Sein Blick ist auf das Meer gerichtet. Die Blicke aller anderen liegen auf ihm und Sean, aber niemand rührt sich.
    Als Corr sich wieder umdreht, renne ich über den Sand zu Prince. Ich kann nicht erkennen, wie schwer er verletzt ist; er blutet so stark, dass nichts von seiner Haut zu sehen ist. Ich habe Angst, dass Corr ihn zertrampelt, aber ich weiß nicht, ob ich genug Kraft habe, ihn von ihm wegzuziehen. Alles, was ich tun kann, ist, mich zwischen ihn und die Hufe zu stellen und meine Furcht, so gut es geht, im Zaum zu halten.
    Corr wirbelt abermals herum und stößt einen Schrei aus; diesmal klingt es wie ein ersticktes Schluchzen. Ein Spinnennetz von Adern zeichnet sich auf seiner Schulter ab.
    »Corr«, sagt Sean.
    Er hebt die Stimme nicht. Sie scheint kaum laut genug, um das Stampfen der Hufe, das Rauschen der Brandung

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