Rot wie das Meer
ist zu unruhig. Ich habe keine Ahnung, ob sich die Bedürfnisse eines mörderischen Capaill Uisce von denen eines Ponys unterscheiden, also reagiere ich genau so, wie ich es bei Dove tun würde. Ich ziehe kurz an den Zügeln und der Hengst reißt den Kopf hoch. Mir kommt es vor, als würde er schon etwas weniger beben, aber ohne das Sirren der Glöckchen ist es schwer zu sagen. Ich versuche, nicht daran zu denken, wie klebrig sich meine Handflächen immer noch von Prince' Blut anfühlen. Stattdessen versuche ich, mich in allen Einzelheiten daran zu erinnern, wie Sean mit den Capaill umgegangen ist.
Schhhh, schhhh, flüstere ich, wie das Meer, und die Ohren des Hengstes richten sich sofort auf mich, während sein Schweif zum ersten Mal reglos herabhängt. Ich bin nicht ganz sicher, ob es mir gefällt, dass er seine Aufmerksamkeit nun mir zugewandt hat, selbst mit verbundenen Augen.
Sean sieht mich über Corrs Widerrist hinweg an, nur einen Moment lang, und sein Blick ist schwer zu deuten – anerkennend? Dann wirft er das eisenbesetzte Vorderzeug hinter sich zu den Glöckchen in den Sand.
»Ich nehme ihn wieder.«
»Was ist mit dem Mann? Prince?«, frage ich und lasse die Zügel erst los, als ich ganz sicher bin, dass Sean sie hat.
»Er ist tot.«
Ich werfe einen Blick zu ihm hinüber. Endlich, nachdem Sean und ich Corr beruhigt haben, hat jemand Prince aus der Gefahrenzone geschleift. Sie haben ihm eine Jacke über das Gesicht gelegt. Ich er-
schaudere im Wind. »Er ist tot?« Ich weiß, dass es albern klingt, aber ich muss es einfach selbst aussprechen.
»Er war es eben schon. Er wusste es, hast du das nicht in seinen Augen gesehen? Meine Jacke.«
»Deine Jacke?«, wiederhole ich so energisch, dass meine noch immer angespannte Stimme Corr zusammenzucken lässt. »Wie wär's mit ›Könntest du mir bitte meine Jacke geben‹?«
Sean Kendrick blickt mich verblüfft an und ich sehe ihm an, dass er keine Ahnung hat, warum ich mich so über seine Worte aufrege. Warum ich mich überhaupt aufrege. Ich kann nicht aufhören zu schlottern, als hätte ich Corrs Zittern übernommen und zu meinem eigenen gemacht.
»Hab ich doch gesagt«, erwidert er nach einer Pause.
»Nein, hast du nicht.«
»Was hab ich denn gesagt?«
»Du hast gesagt: ›Meine Jacke.‹«
Sean sieht jetzt ernsthaft verwirrt aus. »Hab ich doch gesagt, dass ich das gesagt habe.«
Ich gebe einen frustrierten Laut von mir und gehe seine Jacke holen. Wenn nicht die Gefahr bestanden hätte, dass die Flut sie sich holt, bevor er die Gelegenheit hat zurückzukommen, hätte ich sie einfach liegen lassen. Ich kann nur daran denken, dass dieser Mann tot ist, der Mann, der gerade noch meine Hand gehalten hat, und je länger ich darüber nachdenke, desto wütender werde ich, obwohl ich keine Ahnung habe, wem ich die Schuld daran geben sollte außer dem Capaill Uisce, dessen Zügel ich bereitwillig gehalten habe. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich dadurch mitschuldig bin, und das macht mich noch wütender.
Seans Jacke ist total verdreckt, verkrustet mit trockenem Sand und Blut und dazu noch steif vor Salzwasser. Sie fühlt sich an wie ein Stück Segeltuch. Ich hatte vor, sie Sean einfach über den bloßen Arm zu legen, aber ohne das Hemd dazwischen würde sie ihm wahrscheinlich die Haut wundscheuern.
»Ich bringe sie dir später«, sage ich zu ihm. »Ich kann sie zusammen mit meiner Pferdedecke waschen. Wo soll ich sie dir hinbringen?«
»Zum Malvern-Hof«, antwortet er. »Bis auf Weiteres.«
Ich werfe einen Blick zurück zu Prince. Er liegt ausgestreckt auf dem Boden und jemand ist losgegangen, um Dr. Halsal zu holen, damit der offiziell seinen Tod feststellen kann. Die Männer reden mit gedämpften Stimmen neben seiner Leiche, als wollten sie damit ihren Respekt zeigen. Aber an den Fetzen, die ich von ihrem Gespräch aufschnappe, erkenne ich, dass sie über ihre Rennwetten reden.
»Danke«, sagt Sean.
»Was?« Aber die Bedeutung des Worts dringt zu mir durch, bevor mein Bewusstsein wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt ist. Er sieht in meinem Gesicht, dass ich verstanden habe, und nickt knapp. Dann zieht er Corrs Kopf zu sich herunter und flüstert ihm etwas ins Ohr, bevor er dem roten Hengst eine Hand auf die Flanke legt. Der Hengst zuckt zusammen, als sei Seans Hand glühend heiß. Aber er bleibt ruhig und Sean führt ihn vom Strand auf die Klippen zu. Er bleibt nur ein einziges Mal stehen, eine Armlänge von Mutt entfernt. Aus der
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