Rot wie das Meer
Malvern anfangen, sich zu langweilen. Und dann wird er wieder auf sein grässliches schwarzweißes Monster steigen, dessen Name neben seinem auf der Tafel in der Fleischerei steht. Und ich glaube, diese Stute ist für jeden eine Strafe.«
Sean blickt mich an und seine Augen funkeln. Irritiert starre ich zurück.
»Wo, hast du gesagt, ist dein Pferd?«
»Zu Hause. Wir haben gestern Abend trainiert. Warum, hast du gesagt, hast du gekündigt?«
Mit einem reuevollen Schnauben wendet er sich ab. »Ich hab was riskiert. So wie du mit deinem Pony.«
»Pferd.«
»Stimmt.« Sean sieht wieder zu Corr hinüber. »Warum, hast du gesagt, willst du das Rennen mitreiten?«
Ich habe natürlich gar nichts gesagt. Die wahren Gründe preiszugeben, die hinter meiner Entscheidung stecken, wäre vollkommen gegen meine Natur. Ich kann mir schon vorstellen, wie ganz Skarmouth sich darüber das Maul zerreißt, genauso selbstverständlich, wie Dory Maud mir erzählt, dass Sean Kendrick wegen Corr gekündigt hat. Ich habe noch nicht mal mit Peg Gratton darüber geredet, obwohl sie auf
meiner Seite zu sein scheint, und auch nicht mit Dory Maud, die für mich fast zur Familie gehört. Und doch höre ich mich selbst sagen: »Wenn ich nicht gewinne, verlieren wir das Haus meiner Eltern.«
Erst jetzt fällt mir auf, wie lächerlich das klingen muss. Nicht weil ich glaube, dass Sean Kendrick es weitertratschen wird. Sondern weil er jetzt weiß, dass ich nicht nur das Rennen mitreiten will, sondern auch noch hoffe, dadurch zu Geld zu kommen. Und dieses absurde Ansinnen vertraue ich ausgerechnet Sean Kendrick an, dem vierfachen Skorpio-Gewinner. Einen langen Moment sagt er gar nichts und blickt nur zu Corr und Mutt Malvern auf seinem Rücken hinüber.
»Das ist ein guter Grund, um etwas zu riskieren«, sagt er schließlich und mit einem Mal empfinde ich eine tiefe Zuneigung zu ihm, dafür, dass er nicht gesagt hat, was für eine komplette Idiotin ich bin.
Ich atme aus. »Deiner auch.«
»Findest du?«
»Er gehört dir, egal, wie es auf dem Papier steht. Ich glaube, Benjamin Malvern ist bloß neidisch. Und«, füge ich dann noch hinzu, »ich glaube, er spielt gern Spielchen mit Leuten.«
Wieder wirft mir Sean seinen durchdringenden Blick zu. Ich glaube nicht, dass ihm überhaupt bewusst ist, wie sehr man sich davon aufgespießt fühlt. »Du weißt ja eine ganze Menge über ihn.«
Ich weiß, dass Benjamin Malvern seinen Tee mit Butter und Salz trinkt und dass seine Nase so groß ist, dass man Eicheln darin verstecken könnte. Ich weiß, dass er hauptsächlich unterhalten werden möchte, es aber nur wenige Dinge gibt, mit denen das gelingt. Aber ich weiß nicht, ob das bedeutet, dass ich viel über ihn weiß.
»Genug, ja«, erwidere ich.
»Ich mag keine Spielchen«, sagt er.
Wir sehen beide wieder zu Corr hinüber, der sich, wider all meine Erwartungen, beruhigt hat. Er steht nun vollkommen still und beäugt die Menge, die Ohren aufgestellt. Hin und wieder läuft ein Schauder über seinen Körper, aber davon abgesehen rührt er sich nicht.
»Soll ich mal ausprobieren, wie schnell er ist?«, fragt Mutt. Er dreht
sich im Sattel zu Sean um, der nicht mit der Wimper zuckt. David Prince, der noch immer den Führstrick hält, hat einen merkwürdigen Ausdruck im Gesicht, als er uns einen Blick zuwirft. Ein bisschen schuldbewusst, ein bisschen entschuldigend, ein bisschen erwartungsvoll.
»He, Sean Kendrick«, ruft Prince, als wären entweder er oder wir gerade erst am Strand aufgetaucht. »Hast du vielleicht 'nen Tipp für uns?«
»Vergesst nicht das Meer.«
Mutt und Prince lachen auf.
»Guck doch mal, wie zahm er ist«, sagt Mutt zu Sean. Und tatsächlich, Corrs Ohren sind interessiert aufgestellt. Er schnuppert an seinem Sattel und an Mutts Bein, als sei er bloß verwundert, dass nicht alles so ist wie gewohnt, als hätten die Ereignisse einfach eine seltsame Wendung genommen. Die Glöckchen an seinem Zaumzeug klingeln beinahe unhörbar bei der Bewegung. »Und kein bisschen von Sean Kendricks berühmtem Hokuspokus nötig. Bist du jetzt beleidigt, weil er so treulos ist?«
Sean antwortet nicht. Mutt taxiert nun auch mich mit einem kurzen, abfälligen Blick. Ich glaube nicht, dass ich jemals einem Menschen begegnet bin, der es so genossen hat, andere zu verletzen. Ich erinnere mich an jenen ersten Abend, als ich die beiden vor dem Pub gesehen habe, an den Hass in ihren Gesichtern. Nichts davon ist nun mehr verhüllt; er sticht hervor
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