Rot wie das Meer
weil die neuen Männer, die Malvern zum Pferdefüttern angeheuert hat, im besten Fall zu ängstlich und im schlimmsten Fall völlig unfähig sind und weil das Heu nichts taugt und das Fleisch sogar noch weniger. Die Capaill Uisce haben so gut wie keinen Tropfen Blut bekommen. Man könnte meinen, dass die Stallburschen hoffen, sie würden sich in ganz normale Pferde verwandeln, wenn man sie so behandelt. Ich bin hier, weil ich die Dinge, die ich ordentlich erledigt haben will, selbst tun muss. Doch ich antworte bloß: »Nein, hatte ich noch nicht.«
Beech versetzt der toten Kuh einen gutmütigen Klaps in den Nacken und kippt den Eimer mal ein Stück zur einen, mal ein Stück zur anderen Seite. Er sieht seinen Vater nicht an. »Von wem hast du es denn gehört?«
Die Antwort auf seine Frage interessiert mich eigentlich nicht; es ist mir egal, wer was gesehen oder gehört hat, wichtig ist nur, dass die Capaill Uisce angefangen haben, aus dem Meer zu steigen. Dass es wahr ist, spüre ich in meinen Knochen. Darum also bin ich in letzter Zeit so rastlos. Darum läuft Corr in seiner Box hin und her und darum kann ich nicht schlafen.
»Die Connolly-Kinder haben eins gesehen«, sagt Thomas Gratton schließlich.
Beech gibt einen undefinierbaren Laut von sich und versetzt der Kuh einen weiteren Klaps, eher als Unterstreichung des Ganzen als aus praktischen Gründen. Das Schicksal der Connollys ist eine der traurigsten Geschichten, die Thisby zu bieten hat: Sie handelt von den drei Kindern eines Fischers, die von den Capaill Uisce zu Vollwaisen gemacht wurden. Die Insel ist voll von alleinerziehenden Müttern, deren Männer über Nacht verschwunden sind, entweder einem hungrigen Wasserpferd oder den Versuchungen des Festlands erlegen. Und von alleinerziehenden Vätern, deren Frauen von plötzlich auftauchenden Zähnen in die Fluten gerissen oder von Touristen mit dicken Geldbörsen davongelockt wurden. Aber Mutter und Vater auf einen Schlag zu verlieren, das ist etwas anderes. Mein Schicksal – Vater unter der Erde, Mutter auf dem Festland – ist so alltäglich, dass niemand lange darüber nachdenkt. Mir ist das nur recht. Es gibt bessere Dinge, für die man bekannt sein kann.
Thomas Gratton sieht schweigend zu, wie Beech mir den Eimer reicht und rücksichtslos den Kadaver zu zerlegen beginnt. Es mag schwer vorstellbar sein, aber es gibt eine kunstvolle Art, eine Kuh zu schlachten, und diese ist es nicht. Eine Weile sehe ich Beech dabei zu, wie er grobe Schlitze in das Fleisch gräbt, während er ununterbrochen vor sich hin grunzt – ich werde das Gefühl nicht los, dass er versucht, ein Liedchen zu summen. Ich bin fasziniert von der betonten Fahrlässigkeit, mit der Beech seine Arbeit verrichtet, dem kindlichen Vergnügen daran, sie schlecht zu machen. Thomas Gratton und ich wechseln einen Blick.
»Das Schlachten hat er von seiner Mutter gelernt, nicht von mir«, erklärt Thomas Gratton mir. Meine Reaktion würde zwar nicht unbedingt als Lächeln durchgehen, aber er scheint trotzdem dankbar dafür.
»Wenn du was dran auszusetzen hast, wie ich es mache«, sagt Beech, ohne von seiner Arbeit aufzusehen, »gehe ich stattdessen gern ins Pub. Dieses Messer hier passt genauso gut in deine Hand.«
Thomas Gratton gibt einen derben Laut von sich, der von irgendwo zwischen seinen Nasenlöchern und seinem Gaumen herzurühren scheint; einen Laut, der mir sagt, von wem Beech sein Grunzen gelernt hat. Er wendet sich von Beech ab und blickt zu dem rot gedeckten Dach eines der Häuser auf, die den Hof umgeben. »Ich nehme an, du bist dieses Jahr wieder beim Rennen dabei«, sagt er.
Beech reagiert nicht, denn natürlich spricht sein Vater mit mir.
»Ich denke schon«, entgegne ich.
Thomas Gratton antwortet nicht gleich, sondern starrt weiter in die Abendsonne, die die Dachpfannen in leuchtendes Orangerot taucht. Nach einer Weile murmelt er: »Ja, das erwartet Malvern wohl von dir.«
Seit meinem elften Lebensjahr arbeite ich auf dem Malvern-Hof. Es gibt Leute, die behaupten, ich hätte den Job nur aus Mitleid bekommen, aber sie irren sich. Die gesamte Lebensgrundlage und der gute Name der Malverns befinden sich unter dem Dach ihres Stalls – sie exportieren Sportpferde aufs Festland – und keins von beidem würden sie jemals leichtfertig aufs Spiel setzen, schon gar nicht aus einer so menschlichen Regung heraus wie Mitleid. In all den Jahren, die ich nun bei den Malverns lebe, ist mir nicht verborgen geblieben, dass die Grattons
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