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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Wünsche. Aber das Blut auf dem Felsen ist das Blut von Männern, seit Generationen. Die Frage ist nicht, ob du dort oben sein willst oder nicht. Du gehörst da nicht hin. Und jetzt lass den Unsinn, komm runter und hör auf, dich wie ein Kind aufzuführen.«
    Was bildet sich dieser Ian Privett eigentlich ein, mir Vorschriften zu machen? Auch das erinnert mich an Gabe, der mir sagt, ich soll nicht hysterisch sein, wenn ich sicher bin, es überhaupt nicht zu sein. Ich denke an Mum, im Sattel, als sie mir das Reiten beibrachte und dabei selbst wie ein Teil des Pferds wirkte. Sie können mir nicht einreden, dass ich hier oben nicht hingehöre. Es kann sein, dass sie mich mit Gewalt von diesem Felsen holen, egal, was ich sage, aber sie können mir nicht einreden, dass ich hier nicht hingehöre.
    »Ich werde mich an die Regeln halten, die ich bekommen habe«, erwidere ich. »Und an keine ungeschriebenen.«
    »Kate Connolly«, sagt der Mann mit der Weste. »Noch nie ist eine Frau dieses Rennen geritten und du verlangst von uns, das dieses Jahr einfach zu ändern? Wofür hältst du dich eigentlich?«
    Wie auf ein lautloses Zeichen hin beginnt der Mann, der mir seine Hand entgegengestreckt hat, nun die Stufen hinaufzusteigen; sie werden mich mit Gewalt hier wegschaffen, wenn ich nicht freiwillig gehe.
    Es ist vorbei.
    Ich kann nicht glauben, dass es vorbei ist.
    »Ich möchte etwas sagen.«
    Alle Köpfe wenden sich Sean Kendrick zu, der, die Arme vor der Brust verschränkt, ein Stück abseits der Masse steht.
    »Diese Insel wird durch Tapferkeit am Leben gehalten, nicht durch Blut«, sagt er. Sein Gesicht ist mir zugewandt, aber sein Blick liegt auf Eaton und seinen Männern. In der Stille, die auf seine Worte folgt, höre ich meinen Herzschlag in meinen Ohren.
    Sie scheinen über das, was er gesagt hat, nachzudenken. Ihre Gesichter sprechen Bände: Am liebsten würden sie ihn einfach ignorieren, gleichzeitig aber versuchen sie zu entscheiden, wie viel Gewicht den Worten von jemandem beigemessen werden sollte, der in diesem Rennen schon so viele Male dem Tod entronnen ist.
    Genau wie vor ein paar Tagen in Thomas Grattons Wagen sagt Sean Kendrick sonst nichts. Stattdessen zerrt sein Schweigen sie aus ihrer Deckung, zwingt sie, sich ihm zu stellen.
    »Du würdest sie also reiten lassen«, sagt Eaton schließlich. »Trotz allem.«
    »Es gibt kein ›Trotz allem‹«, erwidert Sean. »Lasst die See ihr Urteil darüber treffen, was richtig und was falsch ist.«
    Es folgt ein quälend langer Moment des Schweigens.
    »Dann soll sie reiten«, sagt Eaton schließlich. Rings um ihn werden Köpfe geschüttelt, aber niemand widerspricht. Seans Wort zählt. »Gib dein Blut, Mädchen.«
    Peg Gratton wartet nicht, bis ich meine Hand ausstrecke. Sie stößt
    ihr Messer nach vorn und ritzt mich in den Finger und anstelle von Schmerz spüre ich eine sengende Hitze, die mir bis in die Schulter hinaufschießt. Blut quillt hervor und tropft auf den Felsen.
    Wieder überkommt mich dieses seltsame Gefühl, wie vor ein paar Augenblicken, als Sean Kendrick hier oben stand; meine Füße sind wie mit dem Fels verwachsen, Teil dieser Insel, so als wäre ich direkt daraus emporgesprossen. Der Wind zupft an meinem Haar, löst es aus meinem Zopfband und peitscht mir die Strähnen ins Gesicht. Die Luft riecht nach dem Meer, das an die Küste rollt.
    Ich hebe erneut das Kinn und sage: »Kate Connolly. Dove. Bei meinem Blute.«
    Dann schweifen meine Augen zu Sean Kendrick in der Menge. Er hat sich halb umgedreht, wie um zu gehen, aber er blickt sich über die Schulter zu mir um. Ich sehe ihm in die Augen. In diesem Moment habe ich das Gefühl, dass die Blicke der ganzen Welt auf uns gerichtet sind, als käme Sean Kendrick in die Augen zu sehen einem Versprechen gleich oder einer Übereinkunft – worüber, weiß ich nicht, aber ich sehe nicht weg.
    »Bei ihrer aller Blut, lasst das Rennen beginnen«, sagt Peg Gratton in die Nacht und zu den Zuschauern, aber niemand beachtet sie. »Wir haben unsere Reiter, lasst das Rennen beginnen.«
    Sean Kendrick hält meinen Blick noch eine Sekunde länger fest, dann dreht er sich um und geht, fort von der Menge.
    Noch zwei Wochen bis zum Rennen. Heute Abend ist erst der Anfang. Das spüre ich in meinem Herzen.

33
    Sean Am nächsten Morgen liegt die Insel geisterhaft still da. Obwohl der Überschwang von letzter Nacht hätte vermuten lassen können, dass ab heute das ernsthafte Training beginnt, liegen die Ställe

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