Rot wie das Meer
Ponys, die sich gegen den Wind zusammenrottet. Oder Schafe, die argwöhnisch dem Collie entgegenstarren, der sie weitertreiben soll. Ich bin die Außenseiterin. Die Frau.
Von all den Dingen, die zwischen mir und dem Rennen stehen könnten, hätte ich nie gedacht, dass es ausgerechnet das sein würde.
Mein Gesicht wird heiß. Ich bin mir bewusst, dass mich gerade Hunderte von Menschen auf diesem Felsen anstarren. Trotzdem finde ich meine Stimme wieder. »Davon steht nichts in den Regeln. Ich habe sie gelesen. Jede einzelne.«
Eaton blickt den Mann neben sich an, der sich über die Lippen leckt, bevor er sagt: »Es gibt Regeln, die auf Papier stehen, und Regeln, die zu bedeutend für Papier sind.«
Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, was er damit sagen will, nämlich dass es tatsächlich keine Regel gibt, die dagegenspricht, aber sie mich trotzdem nicht reiten lassen wollen. Genau so ist es immer gewesen, wenn Gabe und ich zusammen gespielt haben, als wir noch kleiner waren – immer wenn es so aussah, als könnte ich gewinnen, dachte er sich einfach eine neue Regel aus, die das verhinderte.
Und genau wie damals spüre ich ein Brennen in der Brust bei dieser Ungerechtigkeit.
»Warum gibt es dann überhaupt Regeln auf Papier?«, entgegne ich.
»Manche Dinge sind einfach so offensichtlich, dass man sie nicht aufschreiben muss«, sagt der Mann neben Eaton, der einen sehr schicken Dreiteiler trägt, dessen Jackett er durch einen der Schals ersetzt hat. Ich sehe das exakte Dreieck seiner Weste, Dunkelgrau auf Weiß, deutlicher als sein Gesicht.
»Komm runter«, sagt Eaton.
Ein dritter Mann steht nun an der Stelle, wo ich hinaufgestiegen bin, und streckt mir die Hand entgegen, als würde ich sie tatsächlich ergreifen und mich nach unten führen lassen.
Ich rühre mich nicht. »Ich finde das gar nicht offensichtlich.«
Eaton runzelt einen Moment lang die Stirn, dann sagt er langsam, als müsste er sich den Sinn seiner Worte selbst erst klarmachen: »Die Frauen sind die Insel und die Insel ernährt uns. Das ist wichtig. Aber es sind die Männer, die dafür sorgen, dass die Insel im Meeresgrund verankert bleibt und nicht aufs Meer hinaustreibt. Eine Frau gehört nicht an den Strand. Das widerspricht den Gesetzen der Natur.«
»Das heißt also, ihr wollt mich aus Aberglauben disqualifizieren«, fasse ich zusammen. »Denkt ihr denn im Ernst, dass irgendwelche Schiffe sinken werden, nur weil ich bei dem Rennen mitreite?«
»Nun ja, nicht direkt...«
»Also liegt es an mir. Ihr wollt mich einfach nicht dabeihaben.«
Eatons Gesicht erinnert mich an Gabes vorhin im Pub, als er einen gespielt ratlosen Blick in die Menge wirft, um allen zu zeigen, wie schwer er es mit mir hat. Je länger ich ihn ansehe, desto unsympathischer wird er mir. Findet seine Frau diese dicke Unterlippe wohl auch so abscheulich? Kann er seinen Scheitel nicht so ziehen, dass man nicht so viel von seiner Kopfhaut sieht? Muss sein Kinn beim Sprechen so zucken? »Jetzt nimm es doch nicht gleich persönlich. So ist das nicht gemeint«, sagt er zu mir.
»Für mich ist es aber persönlich.«
Langsam werden sie ärgerlich. Sie sind davon ausgegangen, dass ich beim ersten geflüsterten Nein herunterkommen würde, und da ich ihnen den Gefallen nicht tue, liefere ich ihnen nicht die tolle Ge -
schichte, mit der sie später prahlen können, sondern nur mehr Mühe. Eaton entgegnet: »Du könntest im Oktober so viele andere Dinge tun, die nicht nur deinem eigenen Vergnügen dienen, Kate Connolly. Du musst nicht ausgerechnet das Rennen reiten.«
Ich denke daran, wie Benjamin Malvern an unserem Küchentisch gesessen und mich gefragt hat, was wir zu tun bereit wären, um unser Haus zu retten. Ich denke daran, was wäre, wenn ich jetzt einfach von diesem Felsen klettern würde. Für Gabe gäbe es dann keinen Grund mehr, noch länger zu bleiben, und egal, wie wütend ich auf ihn bin, ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass das Gespräch im Pub unser letztes gewesen sein soll. Ich denke daran, wie es sich angefühlt hat, gegen Sean Kendrick auf seinem unberechenbaren Capaill Uisce anzutreten.
»Ich habe meine eigenen Gründe dafür zu reiten«, zische ich. »Genau wie jeder Mann, der auf diesen Felsen gestiegen ist. Nur weil ich eine Frau bin, sind meine Gründe nicht weniger wert.«
Ian Privett, der ein paar Schritte weit weg steht, sagt: »Kate Connolly, wen siehst du da neben dir stehen? Eine Frau nimmt unser Blut. Eine Frau gewährt uns
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