Rot wie das Meer
lieber an Land, anstatt es mit den Felsen und der Strömung da unten aufzunehmen. Und glauben Sie mir, Capaill Uisce, die gerade frisch an Land gekommen sind, läuft man besser nicht über den Weg.«
»Weil sie ausgehungert sind?«
Ich kippe meinen Eimer, sodass ein Teil seines stinkenden Inhalts auf dem Pfad landet, und gehe dann weiter. »Weil sie ausgehungert sind, genau. Aber sie sind außerdem auch noch verunsichert und das macht sie noch gefährlicher.«
»Also verteilen Sie hier Schei-«
»Um unser Territorium zu markieren. Wenn sie an Land kommen, sollen sie denken, dass Corr sie hier erwartet.«
»Und nicht eine von Benjamin Malverns Zuchtstuten«, fügt Holly hinzu. Dann arbeiten wir eine Weile schweigend, indem wir als Erstes die leicht zugänglichen Orte auf den Klippen markieren und uns
dann weiter nach unten vorarbeiten. Schließlich ist nur noch ein mit Felsbrocken übersätes Stück Strand übrig.
»Vielleicht bleiben Sie lieber hier oben«, schlage ich vor. Unten am Wasser kann ich nicht für seine Sicherheit garantieren. Mittlerweile ist die See schon wild und sturmgepeitscht und wir können nicht ausschließen, dass dort unten längst ein paar Capaill Uisce lauern. Malvern wäre nicht sonderlich begeistert darüber, durch mich einen seiner besten Kunden zu verlieren, nachdem ich ihn nur zwei Tage zuvor schon um eins seiner Pferde gebracht habe.
Holly nickt, als habe er verstanden, doch als ich mich auf den Weg den Pfad hinunter mache, kommt er trotzdem mit. Das zeugt von Mut und ich respektiere ihn dafür. Ich tausche meinen leeren Eimer gegen seinen ein und er massiert sich die Handfläche dort, wo sich der Griff in sein Fleisch gegraben hat.
Hier unten, am Fuß des Pfads, liegt der am besten begehbare Teil des Strands, auch er voller faustgroßer Steinbrocken. Der Rest besteht aus Felsen und Stücken der Klippe, die irgendwann abgebrochen und kurz vor der Wasserlinie liegen geblieben sind. Der Ozean tastet sehnsüchtig nach meinen Füßen. Es riecht, als würde weiter draußen etwas Totes in den Fluten treiben.
»Wenn ich vorhätte, noch ein Pferd zu fangen«, sage ich, »wäre das hier eine ziemlich gute Gelegenheit.«
Das Wasser hat sich bis in ein flaches Becken zu unseren Füßen geschlängelt und aus einem unerfindlichen Grund taucht George Holly seine Finger hinein. In der Strömung wiegen sich verirrte Seeanemonen mit wabernden Tentakeln, ein paar Seeigel, die darauf warten, einem ihre Stacheln in den Fuß zu jagen, und Krebse, zu klein, um eine gute Mahlzeit abzugeben.
»Wärmer, als ich erwartet hätte«, bemerkt Holly. »Und warum versuchen Sie dann nicht, ein neues Pferd zu fangen? Nachdem Sie gerade vor ein paar Tagen eins verloren haben?«
Die Wahrheit ist, dass es nun, da Mutt Malvern sich Skata als Reitpferd ausgesucht hat, wenig Sinn hätte, ein weiteres Capaill Uisce zu
fangen. Auch Edana noch länger zu behalten, hat eigentlich keinen Sinn. »Ich brauche kein neues Pferd. Ich habe Corr.«
Holly stupst mit einem Stein einen der Seeigel an. »Woher wollen Sie wissen, dass es nicht irgendwo da draußen noch ein schnelleres Pferd gibt als Corr? Das nur darauf wartet, eingefangen zu werden.«
Ich denke an die Scheckstute und ihre atemberaubende Schnelligkeit.
»Das kann schon sein. Aber ich brauche es gar nicht zu wissen. Ich habe kein Interesse«, erwidere ich. Es geht eben nicht nur ums Gewinnen. Ich weiß nicht, wie ich ihm erklären soll, dass ich Corrs Herz besser kenne als das von irgendjemand anderem, genauso wie er meins. »Ich brauche kein anderes Pferd. Aber er ...«
Schnell mache ich den Mund wieder zu und suche mir einen Weg zu der anderen Stelle an dem ansonsten vollkommen unwegsamen Strand, an der möglicherweise Pferde an Land kommen könnten. Ich hole eine Handvoll Salz aus meiner Tasche und spucke darauf, bevor ich es quer über den Pfad schleudere. Dann kippe ich noch eine Ladung von Corrs Dung hinterher, drehe mich wieder um und mache mich wortlos auf den Weg zurück nach oben.
Holly folgt mir, und obwohl ich mich nicht umdrehe, höre ich seine Stimme klar und deutlich.
»Aber er gehört leider nicht Ihnen.«
Ich weiß nicht, ob ich dieses Gespräch führen will. »Er gehört nicht nur leider nicht mir. Er gehört Benjamin Malvern.«
»Was ergibt das denn für einen Sinn?«
»Auf dieser Insel ergibt das allen Sinn der Welt.« Thisby teilt sich auf in Dinge, die Malvern gehören, und Dinge, die nicht Malvern gehören. »Und der sieht so aus:
Weitere Kostenlose Bücher