Rot wie Schnee
Flugzeugs auf der Erde. Er glich einem Falken. Der Schatten hob sich immer klarer ab. Bald würden sie landen.
Sein Auftrag war einfach. Ihn beunruhigte lediglich, dass er Magen-Darm-Probleme bekommen könnte. Er hasste es, wenn er seinen Darm nicht kontrollieren konnte.
Gerardos Sohn Enrico lief durch die Gasse unterhalb des Hauses der Familie Alavez. Manuel und Patricio befanden sich auf dem Dach. Sie hatten Kaffeesäcke hinaufgetragen, um die |426| Bohnen zum Trocknen zu verteilen. Sie sahen, wie er außer Atem angerannt kam.
»Ein Gringo«, stieß er hervor.
Manuel beugte sich über das Geländer der Dachterrasse.
»Was sagst du da?«
»Ein Gringo ist mit dem Bus gekommen. Er hat nach euch gefragt.«
Manuel starrte den Jungen an.
»Nach uns?«
Der Junge nickte eifrig.
»Wie sieht er aus?«
»Wie ein Gringo.«
Manuel drehte sich zum Bruder um. Patricio hielt wie gelähmt einen leeren Sack in der Hand.
»Pack unsere Sachen«, sagte Manuel und rannte die Treppe hinunter, fasste die Schultern des Jungen und sah ihm in die Augen.
»Erzähl alles!«
»Das ist alles!«
Enrico starrte den Nachbarn an, den er noch nie bedrohlich oder gewalttätig erlebt hatte. Manuel ließ den Jungen los, und Enrico schüttelte sich, als wolle er sich von dem schmerzhaften, harten Zugriff befreien.
»Komm mit!«
Manuel ging eilends durch die Gasse, der Junge folgte ihm auf dem Fuß. Sie rannten am Rinnstein entlang, bogen ins Zentrum des Ortes ein und nahmen die Treppen. Dort mussten sie langsamer werden. Die Treppenstufen waren von der Feuchtigkeit glatt und rutschig. Die kleinere der Kirchenglocken bimmelte anhaltend.
Manuel stand hinter dem baufälligen Haus des kürzlich verstorbenen Zimmermanns Oscar Meija, der die besten Pflüge des Orts angefertigt hatte, und schaute sich um. Zum Teil verbarg ihn ein Stapel von
yebágo
. Plötzlich entdeckte er |427| den Fremden. Es war ein großer Mann, er hatte einen ledernen Rucksack dabei. Er redete mit Felix, dem Dorfidioten, dem Jungen, der nie heranwuchs und zeitlebens unverständig blieb. Ein Stück entfernt stand eine Gruppe neugieriger Kinder. Die Abgase des Busses, mit dem der Gringo gekommen war, hingen noch wie eine dunkle Wolke über dem Platz vor dem Gemeindehaus.
Felix deutete mal hierhin, mal dorthin und lachte über das ganze Gesicht. Manuel wurde klar, dass der Fremde daraus nicht schlau werden würde. Felix zog den Mann am Ärmel. Der Gringo schüttelte ihn ab. Er sah zur Schule hinauf, wo die verblichenen Porträts der Helden der Revolution aufgereiht hingen. Dann wandte er sich um.
Manuel wankte. Der Mann aus den Bergen war zurückgekehrt! Der Mann, den er mit einem Schnitt durch die Kehle getötet und weit weg von hier in Schweden in den Fluss geworfen hatte, stand höchst lebendig dort drüben.
»Was ist?«, flüsterte Enrico furchtsam.
»Bhni guí’a«, flüsterte auch Manuel, drehte sich um, stolperte über einen Holzstapel, kam wieder auf die Beine und rannte drauflos, als hätte er einen bösen Geist gesehen.
Enrico blieb zögernd stehen, aber als er bemerkte, wie der Gringo nach seinem Rucksack griff, rannte er hinter Manuel her, der jetzt oben auf der Treppe angekommen war und sogleich zwischen den Büschen verschwand.
Die Toten kehren zurück, die Toten kehren zurück, leierte Manuel beim Rennen stumm vor sich hin. Der Lange war nicht nur zurückgekehrt, er sah jünger und gesünder aus als damals in Schweden.
Als Manuel ins Haus stürzte, hatte Patricio zwei Säcke mit Kleidung gepackt. Neben ihm stand Maria und zog ihn am Hemd. Sie fragte immer wieder, was denn passiert sei. Patricio befreite sich von der Mutter und nahm wortlos die Machete von der Wand.
|428| »Wir müssen fliehen«, sagte Manuel heftig. Sein Gesicht wirkte wie zu einer Totenmaske erstarrt.
Auch er griff nach seiner Machete und nach einer kleinen Axt. Patricio und die Mutter betrachteten ihn erschrocken. Noch nie hatten sie ihn so aufgewühlt erlebt.
Manuel trat zur Mutter, umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange, dann riss er den einen Sack an sich und stürzte hinaus.
»Wir kommen wieder«, sagte Patricio, umarmte sie und verschwand.
Er folgte dem Bruder auf den Hof. Manuel wartete dort und spähte unruhig die Gasse hinunter. Der Nachbarsjunge Enrico stand unschlüssig am Tor.
»Wohin geht ihr?«, fragte die Mutter. Ihre Stimme klang so verzweifelt, dass die Brüder einen Augenblick einhielten.
Manuel warf Patricio einen Blick zu, ehe er
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