Rot wie Schnee
gefahren.
»Hast du nach dem Video gefragt?«, unterbrach Fredriksson Lindell in ihrem Referat.
Ann Lindell lächelte. Ja, klar. Anthony sei seit mehreren Jahren »Schauspieler«. Er habe zugegeben, bei Pornofilmen mitgewirkt zu haben, und das schien ihn auch nicht in Verlegenheit |413| zu bringen. Im Gegenteil, er hatte berichtet, dass er zu den Erfolgreicheren der Branche gehöre.
»Was will er?«, fragte Ottosson.
»Seine Forderung aufs Erbe anmelden, so kann man es wohl ausdrücken, auch wenn er eigentlich wirklich betrübt zu sein schien. Er kam mehrfach auf Armas’ Tod zurück. Und dann wollte er mit Slobodan Andersson sprechen. Sie sind sich nie begegnet, aber Anthony wusste, dass Armas und Slobodan seit vielen Jahren schon zusammenarbeiteten. Vielleicht glaubte er, dass Armas ein Teil der Restaurants gehörte, keine Ahnung.«
»War er in Mexiko?«
Ann Lindell fühlte sich wie auf einer Pressekonferenz, bei der die Fragen aus allen Richtungen auf einen einprasseln. Dieses Mal kam die Frage von Bea.
»Mehrmals. Er sagte, wenn man im südlichen Kalifornien lebe, führe man oft zu dem, was er ›Bascha‹ nannte.«
»Bacha«, korrigierte Ola Haver.
»Bacha«, wiederholte Lindell mit übertrieben korrekter Aussprache. »Anthony Wild ist allerdings nie in Guadalajara bei unserem Freund dem Tätowierer gewesen, und er wusste nichts davon, dass Armas und Slobodan Andersson in Mexiko waren.«
»Wie hat er von Armas’ Tod erfahren?«
»Durch seine Filmgesellschaft. Wir hatten ja bei der Gesellschaft Erkundigungen eingeholt, und um sie etwas williger zu stimmen, Namen herauszurücken, sprachen wir über Armas’ Tod.«
»Ist er glaubwürdig?«, fragte Ottosson.
»Mir erschien er ehrlich. Bisschen trendy vielleicht. Kein reeller Mensch, würdest du wohl sagen, Otto, aber …«
»Er ist Schauspieler«, erinnerte Sammy Nilsson.
»Bist du scharf auf ihn?«, fragte Fredriksson.
Alle sahen Fredriksson erstaunt an. Das war ein Sammy-Kommentar, |414| den er abgegeben hatte, und nichts, was man von dem in Moralfragen so rigiden Fredriksson erwartet hätte. Der hatte nach seiner spontanen Bemerkung auch einen hochroten Kopf.
»Bei so einem Leckerbissen im Haus kann man schon mal Appetit bekommen«, grinste Sammy.
Alle lachten, bis auf Bea.
Sie diskutierten noch eine Weile hin und her. Natürlich sollte Anthony Wild mehrmals vernommen werden. Er hatte vor, sich mindestens eine Woche lang in der Stadt aufzuhalten, um Armas’ Wohnung durchzugehen und um die Erbsache juristisch zu ordnen. Er wollte auch das »Dakar« und das »Alhambra« aufsuchen, um zu sehen, wo sein Vater gearbeitet hatte. Außerdem hatte er den Wunsch geäußert, die Stelle sehen zu dürfen, wo sein Vater ermordet worden war.
Sie wussten nicht, ob er die Erlaubnis erhalten würde, Slobodan Andersson aufzusuchen, aber Ottosson konnte keinen Hinderungsgrund erkennen. Es gab vonseiten des Sohnes ein legitimes und verständliches Interesse, mit dem besten Freund seines ermordeten Vaters zu sprechen, auch wenn der wegen eines Drogendeliktes in Untersuchungshaft saß.
Ann Lindell zog sich in ihr Büro zurück. Das Gespräch mit Armas’ Sohn hatte sie zunächst hoffnungsvoll gestimmt, aber nach und nach war sie immer enttäuschter gewesen. Seine Kritik, warum der Mörder noch auf freiem Fuß sei, war zwar höflich formuliert, trotzdem eindeutig, und hatte sie unerwartet hart getroffen.
Alle technischen Beweise – DNA, Fingerabdrücke, Reifenspuren – lagen vor. Mit viel Geschick hatten sie die Frage nach der weggeschnittenen Tätowierung gelöst und den mexikanischen Zusammenhang herausgearbeitet. Als sich dann die Existenz dieses Mexikaners offenbarte, der sogar auf dem Band der Überwachungskamera der Strafanstalt von Norrtälje |415| dokumentiert war, hätte Lindell eine rasche Festnahme von Manuel Alavez erwartet.
Und nun war er trotz aller Informationen, die der Polizei zur Verfügung standen, noch immer auf freiem Fuß. Das war doch geradezu aberwitzig. Manuel Alavez war eine statistische Anomalität. Das wurde einmal mehr unterstrichen, als Patricio Alavez der Ausbruch aus dem Gefängnis gelang und er sich garantiert mit seinem Bruder zusammengetan hatte.
Spätestens da hätte die Sache für die Brüder gelaufen sein müssen. Stattdessen waren die zwei der Polizei wieder durch die Lappen gegangen.
Ann Lindell wusste nicht recht, wie sie das Auffinden des Leihwagens in Rotebro einschätzen sollte. Alavez war wohl klar
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