Rote Sonne über Darkover - 5
rund. Eine Schwangerschaft im siebten Monat wölbte die Vorderseite des langen, weiten Rocks, die im Gebirge zur Tracht der Landbesitzer gehörten. Ihr kastanienfarbenes Haar war zurückgekämmt und zu dem kunstvollen Knoten aufgesteckt, der ihren Rang verkündete, und nicht eine einzige Strähne entschlüpfte der adretten weißen Haube. Eine umfangreiche Schürze schützte ihr weißes Wollkleid vor Spritzern des Essens, das sie, wie es ihre Pflicht und ihre Freude war, für ihre Leute kochte. Die Schlüssel, die von ihrem Gürtel hätten hängen sollen, waren an einem Ring um ihr Handgelenk befestigt.
Ana hatte ihre eigene Molligkeit schon vor einigen Jahren verloren und war jetzt ebenso schlank und geschmeidig wie einer von Roevnas Reitern. Ihr ingwerfarbenes Haar hing ihr in einem schweren Zopf, der mit einem Lederriemen zusammengebunden war, über den Rücken. Das einzige Zeichen ihres Adels war ein goldener Ring in dem einen Ohr. Ihr Hemd und ihr geteilter Rock waren aus feiner High-Rolls-Qualität und wahrscheinlich von ihr selbst gewebt. Dazu trug sie Stiefel, Gürtel und Weste aus ebenso feinem Leder. Sie erweckte den Eindruck, gleich ausreiten zu wollen.
Die Bewohner von High Rolls drängten sich um die Händler, als wollten sie aus deren Ankunft irgendwelche guten Neuigkeiten ableiten. Das Gespräch bei einem nahrhaften, aber phantasielosen Essen, aufgetragen von einer auffallend nervösen Dodo, hatte einen Unterton von Sorge und Unsicherheit. Am schlimmsten war, wie Roevna erkannte, daß Doros Ehemann Charlot, ein Fremder in diesem Land, keine Ahnung hatte, was geschehen war, aber fest glaubte, er müsse den Schaden beheben.
Nachdem der letzte Gang abgetragen und Wein eingeschenkt war, setzte Roevna ihren Becher ab und seufzte. »Ich hatte gehofft, hier eine Frau zu finden, die als Sensitive oder Handelsmeisterin oder beides mit mir reiten würde. Aber ich sehe, eure Probleme überwältigen euch.«
»Ich würde gern eine Reise unternehmen«, sagte Ana da, »und es wäre längst Zeit gewesen.« Es klang nicht glücklich, sondern sehnsüchtig.
»Das kannst du nicht tun«, fiel Doro scharf ein. Sie sprach wie ein verängstigtes Kind. »Auf dem Land liegt eine Plage, und ich erwarte ein Kind! Du kannst nicht weggehen, solange wir dich brauchen!«
Ana blickte über Doros Kopf hinweg, als appelliere sie an den Himmel. »Die Gesundheit des Landes liegt in der Gesundheit der Lady, Doro! Und du bist die Lady und brauchst keine andere Frau, die dir Vorschriften macht. Zwanzig Jahre lang habe ich meine Pflicht getan und war an Haus und Land, Kinder und Kochtopf gefesselt. Das war recht und gut, solange du mich brauchtest. Aber Kinder werden groß, Doro.«
Bestürzt fragte Doro: »Wie kannst du auch nur daran denken, alles, was uns hier so teuer ist, für ein kaltes Bett auf einer fremden Straße einzutauschen?«
Ana seufzte. »Du denkst in deinem Lebensabschnitt hauptsächlich an Bett und Baby, Haus und Land, und das ist richtig - für dich.
Aber ich in meinem Lebensabschnitt sollte frei sein, und - Frauen altern, Kinder werden groß!« wiederholte sie.
Da grollte der Boden unter ihnen, und Doro riß entsetzt die Augen auf. Ana befahl: »Bewaffnet euch, ihr alle, die ihr Waffen tragt. Ich brauche ein Drittel eurer Zahl, um das Haus und Eure Lady, die den Erben trägt, zu bewachen, der Rest soll sich bereithalten. Das kam vom Berg und ist vielleicht nichts Irdisches, sondern Magie. Cousine Roevna, ist deine Sensitive noch kräftig genug, um sich mit Magie zu befassen?«
»Das bin ich«, erklärte Peliel mit alter Stimme. »Kann Doro die Zügel übernehmen, während Ihr ihren Männern Befehle gebt?«
»Nun, einer muß es tun, warum nicht sie?« fauchte Ana. »Drei von euch und die Sensitive kommen mit mir an die Tür. Wir wollen hinausgehen, ob es etwas zu sehen gibt.«
Den Karawanenleuten fiel als bedeutsam auf, daß man ihr augenblicklich gehorchte, während die Herrin von High Rolls die Hände rang und jammerte. Sogar Charlot gehorchte Ana, nicht seiner Lady.
Es war kalt unter dem Berg. Früher hatte Mutters Wärme den kleinen Drachen warmgehalten, aber Mutter hatte sich langsam abgekühlt, als der Herbst in den Winter und der Winter in diese Jahreszeit ohne Namen überging. Der kleine Drache fror, er fühlte sich einsam, und er hatte ein bißchen Angst. Er wußte, er hätte Feuer haben müssen, und einmal gelang ihm ein schwaches Flackern. Aber er hatte vergessen, wie man es weiterbrennen ließ, und
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