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Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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PIA, las über die Probleme mit ihrem Sohn, ihre intimen Gedanken, ihre allmähliche Emanzipation.
    |325| Widerstrebend erfasste ihn Sympathie für sie, und er war mehr und mehr von ihrer Unschuld überzeugt. Sie glich einem zufälligen Stück Treibgut, das von der Flut der Operation Shawwal mitgerissen worden war.
    Dann klingelte sein Telefon. »Becker hat gerade Miss Jenny angerufen. Sie wollen wieder essen gehen.«
     
    Reinhard Rohn lag im Bett. Ansie, die Leiterin der Buchhaltung bei Consolidated Fisheries, hatte den Kopf auf seinen Bauch gelegt und rauchte eine Zigarette. Der Aschenbecher stand auf der Wölbung ihres Bauchs.
    »Ich habe gehört, dass ein Freund von mir kürzlich bei euch war«, sagte er.
    »Wer denn?«
    »Shahid Latif Osman. Aus Kapstadt.«
    »Kennst du Osman gut?«
    »Na ja, wenn ich ehrlich bin, ist er mehr ein Geschäftsfreund. Gestern habe ich zufällig am Telefon erwähnt, dass ich in Walvisbaai bin, und da sagte er, er habe vor etwa einem Monat auch geschäftlich hier zu tun gehabt. Bei euch.«
    »Die Welt ist klein«, sagte sie.
    »Ich habe gar nicht gewusst, dass er Fisch importiert.«
    »Tut er auch nicht.«
    »Ach nein?«
    »Was macht der Osman, den du kennst?«
    »Import, Export«, antwortete er absichtlich vage.
    »Uns hat er etwas anderes erzählt. Er sagte, er sei Makler. Spekulant.«
    »In Fisch?«
    »Nein. Schiffe. Er hat eines unserer Boote gekauft.«

|326| 60
    An der Kapstädter Waterfront, wo sich viele tausend Lichter auf der stillen Wasseroberfläche spiegelten, saß Milla Lukas Becker gegenüber und hörte ihm zu. Sie lauschte seiner Stimme, dem Tonfall, der Modulation – ruhig, friedlich, sanft. Ein Hauch von Selbstverleugnung schwang darin mit, als erhielte sein Leben nur durch ihr Interesse einen Wert. Und da war noch etwas anderes, eine eigene Melodie, die in ihr eine Saite zum Schwingen brachte, einen warmen Mantel um sie beide legte.
    Erzähl mir von den Ausgrabungen, hatte sie ihn gebeten, als wüsste sie von nichts.
    Er sagte, dies seien die spannendsten Erfahrungen seines Lebens gewesen.
    Warum?
    Ach, ich will dich nicht langweilen.
    Tust du nicht.
    Erst hatte er noch ein wenig gegessen. Dann fragte er sie, ob sie schon einmal über die Ebenen des Vrystaats gewandert sei und sich gefragt habe, wie es dort vor hunderttausend Jahren ausgesehen habe. Ob sie schon einmal im Veld etwas habe blitzen sehen, es aufgehoben und in den Fingern hin und her gewendet habe, ein Stück Straußeneierschale, rund gefeilt, ein Loch darin, und sich gefragt habe, wer es um den Hals getragen habe. Wie es gewesen sei, damals zu leben. Als die Springböcke zu Tausenden über die Savanne gezogen seien, als die Menschen nachts Feuer angefacht hätten, um die Löwen fernzuhalten, dort, wo heute Rinder und Schafe weideten und die Zivilisation Einzug gehalten habe. Habe sie sich je gefragt, warum Afrika uns Abkömmlinge Europas so tief bewege? Er habe darüber nachgedacht, seitdem er siebzehn, achtzehn war. Warum wir es
besitzen
wollten. Warum die Menschen in Afrika, allen voran die weißen
Afrikaner
, eine so starke Bindung zu dem Land verspürten, eine so tief verwurzelte Sehnsucht nach Grundbesitz. |327| Genauer gesagt nach einer Farm. »Wo kommt das her? Es steckte in meinem Vater, und es steckt in mir. Da habe ich mich auf die Suche nach Antworten gemacht und immer stärker gespürt, dass diese Art der Sesshaftigkeit etwas ziemlich Neues war. Zehn-, vielleicht zwölftausend Jahre alt. Vorher lebten die Menschen als Nomaden, Jäger und Sammler und zogen von einer Nahrungsquelle zur anderen. Zweihunderttausend Jahre lang, wenn man nur von den unmittelbaren Vorfahren des
Homo sapiens
ausgeht. Fast zweieinhalb Millionen Jahre, wenn man
Homo habilis
mit einbezieht. Die Welt war unsere Heimat, wir strebten zum Horizont. Die Freiheit, die Bewegung lag in unseren Genen und war unsere Triebfeder. Doch dann, zwischen achtzehn- und vierzehntausend Jahren vor unserer Zeit, wurde die Kultur des Kebaran in der Levante von der des Natufien abgelöst, und zum ersten Mal begannen die Menschen, Naturgräser auszusäen …«
    »Das Kebaran?«, fragte sie flüsternd, fast entschuldigend, weil sie nicht wollte, dass er aufhörte zu reden.
     
    Er brachte sie bis zum Sicherheitstor.
    Sie hätte ihn gerne noch hineingebeten.
    »Ich möchte dich morgen Abend wiedersehen, Milla«, sagte er.
    »Das wäre schön.«
    Einen Augenblick lang standen sie einander schweigend gegenüber, dann sagte er: »Gute Nacht,

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