Rote Spur
Masilo.
»Die drei, die Becker verfolgt haben.«
»Und ihn verloren haben.« Das war kein Vorwurf, sondern lediglich eine Feststellung.
»Ja, und sie wissen, wie inakzeptabel das war. Becker war allerdings zu Fuß, es war mitten in der Nacht, und er wusste, dass sie ihn verfolgten. Außerdem ist er ein Profi. Aber sie ist unerfahren und hat keine Ahnung. Wir haben einen Peilsender an ihrem Auto angebracht, orten ihr Handy und hören jeden Anruf ab. Ihre Wohnung ist verwanzt.«
»Okay«, sagte Masilo. Er hielt den Blick auf den Bildschirm gerichtet, auf dem Millas Auto als beweglicher Pfeil auf einer Karte zu sehen war. »Was ist ihr Ziel?«
Zunächst schlug Milla instinktiv den Weg in Richtung Durbanville ein. Als ihr klar wurde, wohin sie unterwegs war und warum, erfasste sie eine gewisse Panik. An der Abfahrt Koeberg fuhr sie hinaus, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollte. Sie war nirgendwo sicher. Sie musste unbedingt Lukas anrufen, jetzt, sofort. Ohne hinzusehen, kramte sie nach ihrem Handy, griff es gleich, zog es aus der Handtasche und begann, aus dem |362| Kopf die Notfallnummer zu wählen, die sie sich eingeprägt hatte.
Neben ihr hupte plötzlich ohrenbetäubend laut ein anderes Auto. Erschrocken blickte sie auf und merkte, dass sie von ihrer Fahrbahn abgekommen war. Sie riss das Steuer ihres Renaults herum. Der Mann im anderen Auto drohte ihr mit der Faust, zeigte ihr den gestreckten Mittelfinger und stieß mit wutverzerrtem Gesicht für sie unhörbare Flüche aus.
Dann war er vorüber, aber ihr zitterten noch immer die Hände. Sie musste erst rechts ranfahren, anhalten, dann anrufen. Hinter der Ampel sah sie eine Caltex-Tankstelle und beschloss, dort abzubiegen. Doch plötzlich fiel ihr siedend heiß ein, dass sie nicht anrufen durfte, weil sie abgehört wurde.
Es durchfuhr sie wie ein Schock.
Erst am Lagoon Beach fand sie einen Parkplatz. Sie bog ein, ohne nachzudenken. Sie wollte einfach nur weg von der Straße und raus aus dem Auto. Sie stieg aus, schloss den Renault ab und machte sich ziellos auf den Weg, die Handtasche über der Schulter, sie mit einer Hand verzweifelt umklammernd, als sei sie ihr einziger Besitz.
Masilos Vorwürfe flammten in ihrem Kopf auf wie grelle Blitzlichter, die alles andere ausblendeten, so dass sie anfangs kaum denken konnte. Sie konnte sich weder an ihre Gespräche mit Lukas und noch an den Inhalt der Berichte erinnern, die sie gelesen hatte. In ihr war nur dieses explodierende Feuerwerk.
Sechs Kilometer weit lief sie so, am Golfplatz, Häusern und anderen Leuten vorbei, ohne zu merken, dass ihr vier Agenten zu Fuß folgten. Irgendwann ließ sie sich ein paar Meter von der Wasserlinie entfernt in den Sand sinken, die Handtasche auf dem Schoß, den Kopf in den Händen, die Augen auf das Meer gerichtet und dachte nach.
Der Agent ließ das Fernglas sinken und informierte Quinn über Handy: »Nein, sie sitzt einfach nur da.«
|363| »Hören Sie gut zu: Wir vermuten, dass sie auf Becker wartet. Sie alle wissen, wie er aussieht. Melden Sie sich unverzüglich, sobald Sie ihn sehen, aber passen Sie auf, dass er Sie nicht bemerkt. Er ist Profi und höchstwahrscheinlich bewaffnet.«
»Roger.«
»Das Sondereinsatzkommando ist unterwegs. Wenn Becker kommt, greifen sie ihn sich. Bleiben Sie in Bereitschaft.«
Nachdem Milla so gefährlich nahe dran gewesen war, Lukas anzurufen, zwang sie sich dazu, zur Ruhe zu kommen.
Mit geschlossenen Augen saß sie da und versuchte verzweifelt und anfangs ohne Erfolg, ihre Gefühle zu unterdrücken: die Ängste, die Aufregung, die Zweifel, die Scham und das Selbstmitleid.
Allmählich spürte sie jedoch immer stärker die Schmerzen in den Knöcheln ihrer rechten Hand, was sie für einen Augenblick ablenkte: Warum tat das so weh? Da fiel ihr ein, wie sie Masilo geschlagen hatte, und sie durchlebte noch einmal diesen Moment plötzlicher und tiefer Genugtuung, als sie auf ihn losgegangen war. »Sie sind ein Biest!« Unwillkürlich lächelte sie. Mein Gott, Milla, warst du das, die schüchterne Hausfrau aus Durbanville?
Die Vorstellung lockerte kurzzeitig die unerträgliche Anspannung in ihrem Inneren – nicht ganz, aber gerade genug, dass sie langsam und entschlossen durchatmete und es schaffte, sich dem Sturm in ihrem Kopf zu widersetzen. Dann dachte sie bei sich, dass sie doch Fortschritte gemacht habe. Sie hatte sich weiterentwickelt und sich in dem Augenblick, wo sie wieder als dumme Hausfrau vorgeführt wurde,
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