Rote Spur
merkwürdigerweise rannte er nicht davon, sondern strebte zu seinem Auto.
»Was machen Sie da?«, rief Lukas und hielt ihn zurück.
»Die Tasche!«, sagte Osman flehentlich.
Die Tasche. Die Schultertasche, mit der Osman aus der Moschee gekommen war.
Lukas hatte sich hastig umgedreht, Osman mit sich gezerrt und die Tasche aus dem Toyota geholt. Dann mussten sie sich beeilen, denn die Verfolger kamen näher.
Jenseits der Gleise, in einem Gang zwischen den Gebäuden, versuchte Osman, Lukas die Tasche abzunehmen. »Geben Sie sie mir!«
Lukas riss sie ihm weg und befahl: »Mitkommen!«
Osman sah ihn verzweifelt an, verlangsamte seine Schritte und fasste sich an die Brust. »Mein Herz!«, stöhnte er.
»Lassen Sie das Theater! Kommen Sie!«
Im Golf sank Osman auf den Sitz, wachsbleich, nass geschwitzt und kurzatmig. Zitternd und ganz langsam griff er nach der schwarzen Tasche.
»Finger weg!« Becker sah Osman in die Augen, erkannte die wilde Panik des Mannes. Plötzlich zog Osman die Hand hastig zurück und fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die linke Schulter. Noch immer glaubte ihm Lukas Becker nicht.
»Ich brauche meine Medizin!«, stöhnte Osman.
Lukas ignorierte ihn, konzentrierte sich auf die Straße vor ihnen und sah in den Rückspiegel.
Und dann sackte Osman in sich zusammen. Becker hielt fluchend an, hob Osmans Kopf an und sah, dass er die Augen verdreht hatte. Als er ihm den Puls fühlte, spürte er das Herz rasen und vermutete, dass es ein Herzinfarkt war. Er hatte eine Erste-Hilfe-Ausbildung und wusste, dass die nächste Viertelstunde über Leben und Tod entscheiden würde.
Damit veränderte sich alles. Mit dem bewusstlosen Osman auf dem Beifahrersitz raste er in die Stadt zur nächsten Ambulanz im Chris-Barnard-Gedächtniskrankenhaus. Er hielt vor |381| der Ambulanz, trug Osman mit Feuerwehrgriff hinein und rief um Hilfe. Das Krankenhauspersonal rannte auf sie zu und wies Becker an, Osman auf ein Krankenhausbett zu legen. Er erklärte ihnen, der Mann habe einen Herzinfarkt gehabt, behauptete jedoch, ihn eine Straße weiter gefunden zu haben.
Sie rissen Osman das Moslemgewand auf, hörten ihn mit Stethoskopen ab, drückten ihm eine Sauerstoffmaske ins Gesicht und schoben ihn durch die Schwingtüren.
»Ich habe im Krankenhaus angerufen, kurz bevor ich dich abgeholt habe. Sie haben ihn noch nicht identifiziert, sagten aber, sein Zustand sei kritisch. Wenn er stirbt … Ich dachte, die Leute, die ihn verfolgten, seien seine Leute. Seine Leibwächter. Ich dachte, auch meine Verfolger seien seine Leute. Aber als du am Telefon das mit dem Geheimdienst gesagt hast … Das verändert alles. Sie können mich mit allem möglichen in Verbindung bringen. Sie glauben, ich hätte Julius ermordet. Jetzt werden sie glauben, ich hätte auch Osman getötet.«
Janina Mentz warf zuerst mit dem Tacker. Dann folgte der Briefbeschwerer, der eine Delle in ihrer Bürotür hinterließ.
Dann stieß sie hervor: »Mein Gott noch mal!« und fing an, in ihrem Büro hin und her zu laufen, das Gesicht vor Wut gerötet.
Tau Masilo saß reglos auf seinem Stuhl. Er hatte nichts zu seiner Verteidigung zu sagen.
Eine Hausfrau – Sachbearbeiterin, Amateurin – hatte die professionellen Verfolger des Präsidentiellen Geheimdienstes an der Nase herumgeführt.
Was sollte man dazu sagen?
Er schloss die Tür des Ferienbungalows im Big Bay Beach Club auf und ließ sie eintreten. Das Häuschen war hübsch eingerichtet, mit Ferienhausmöbeln, meerblauen und weißen Wänden, einem offenen Wohnküchenbereich. Sie legte ihre Einkaufstasche auf den Frühstückstresen neben eine schwarze Tragetasche.
|382| Dann drehte sie sich zu ihm um und nahm ihn fest in den Arm. Er umarmte sie auch, aber sein Körper war angespannt. »Milla, du kannst nicht hierbleiben.«
Fragend blickte sie zu ihm auf.
»Das sind meine Probleme«, sagte er. »Meine Schwierigkeiten. Mein Risiko. Dir können sie nichts anhaben, du hast nichts verbrochen. Du musst dich von allem fernhalten, bis es vorbei ist. Du … In deiner Lage …«
Sie schüttelte nur den Kopf, in dem Wissen, dass sie ihm jetzt nicht antworten konnte. Sie würde gewiss etwas Falsches sagen, so wie eben, als sie im Golf alles gebeichtet hatte.
»Wann hast du zum letzten Mal etwas gegessen?«, fragte sie stattdessen.
69
Lieber Lukas,
eine Alliteration, ganz zufällig, und sofort bin ich ganz angetan davon. Wobei wir auch schon beim Thema wären.
Denn mein Leben ist eine
Weitere Kostenlose Bücher