Rote Spur
selbst leben.
Du hast gesagt: »Du kannst nicht bleiben.« Aber ich muss.
Bitte …
(10. Oktober 2009. Samstag.)
Als sie aus dem Schlafzimmer kam, trug sie eines seiner Hemden. Sie sah ihn an der Frühstückstheke sitzen, den nackten Rücken ihr zugewandt, leicht vorgebeugt, konzentriert auf die Teile eines auseinandergenommenen Laptops. Auf der ganzen Theke lag Werkzeug herum.
Und ihr Brief daneben.
|385| Milla lehnte sich an den Türrahmen und betrachtete ihn, die langen Rückenmuskeln, seinen Nacken, seine dunklen, so sauber militärisch geschnittenen Haare. Sie ging auf ihn zu und wollte ihn berühren.
Ruckartig wandte er den Kopf nach ihr um und sah sie kurz an. »Milla!«, sagte er laut und so heftig, dass sie erschrak. »Bleib stehen!«
»Was ist denn?«
Er wandte sich wieder dem Innenleben des Laptops zu. »Sprengstoff. Das ist Osmans Computer. Ich muss nur noch mal kurz …«
Sie beobachtete, wie er vorsichtig ein silbernes Kabel herauszog, an dem zwei dünne Drähte befestigt waren. Äußerst vorsichtig legte er sie beiseite. Dann holte er langsam einen dünnen Wurm grauweißen Materials heraus. Es sah aus wie Bastelton für Kinder.
»C4«, flüsterte er, hielt das Material mit ruhiger Hand fest und befühlte es respektvoll. »Hier könnte noch ein Zünder sein …« Endlich war er zufrieden und legte es beiseite. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, drehte sich zu ihr um und sagte: »Guten Morgen.«
Sie ging zu ihm, lehnte sich an ihn, legte ihm die Hand auf den Rücken und küsste ihn auf die Wange. »Das machst du also zum Frühstück.«
Er drückte sie, ohne etwas zu sagen.
»Hast du meinen Brief gelesen?«
»Habe ich.«
»Und?«
Langsam ließ er sie los. »Schau dir das an«, sagte er und zeigte auf den Sprengstoff.
»Ich weiß, aber …«
Er schüttelte den Kopf, legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie ernst an. »Milla …«
»Ich kann dir helfen«, erwiderte sie, obwohl sie wusste, was er entgegnen würde.
|386| »Milla, ich möchte mit dir zusammen sein, ich will bei dir sein, und ich komme zu dir zurück, wenn das alles vorbei ist, das schwöre ich dir. Aber betrachte die Sache doch einmal nüchtern: Wenn die Sache aus dem Ruder läuft – ich kann es mir nicht leisten, mir um deine Sicherheit Sorgen zu machen, ich kann nicht zulassen, dass meine Entscheidungen dadurch beeinflusst werden.«
Man sah ihr die Enttäuschung an, sie konnte es nicht verhindern.
»Es tut mir leid«, sagte er.
Später, während sie Kaffee trank und er den Laptop wieder zusammensetzte, erzählte er ihr von dem Rechner und wieso er jetzt wusste, warum Osman bei der Entführung zuerst nach dem Handy gegriffen hatte.
»Dieser Empfänger war oben auf dem Computer befestigt. Osman wollte eine Nummer anrufen, die den Sprengstoff aktiviert hätte. Die Ladung ist klein, es hätte gerade gereicht, um den Rechner zu zerstören. Als ich ihm das Handy abgenommen habe, versuchte er mit aller Macht, den Laptop zu erreichen, denn es gibt auch noch einen Schalter …«
»Aber warum?«, fragte sie.
»Genau das werde ich herausfinden.«
Als er den Rechner endlich einschaltete, stand er vor einem weiteren Hindernis.
»Wir brauchen ein Passwort«, sagte Becker.
Milla schaute mit ihm auf den Bildschirm. Ein Eingabefeld war erschienen mit der Aufforderung:
Geben Sie Ihr Windows-Passwort ein
.
»Du kennst das Passwort nicht.«
»Nein, ich habe keine Ahnung.«
»Vielleicht kann ich dir helfen.«
»Kennst du dich mit Computern aus?«
»Nein. Aber ich kenne jemanden, der sich damit auskennt.« |387| In einem Konferenzraum des Innenministeriums an der Pleinstraat, dem neutralsten Terrain, das Janina Mentz kurzfristig hatte finden können, saßen sie und Tau Masilo den Amerikanern an einem Konferenztisch gegenüber.
Sie ging kühl mit den vier CIA-Mitarbeitern um, gleich von Anfang an. Burzynski reagierte mit einem kleinen, verstohlenen Lächeln, als sei er ihr mit seinem Wissen voraus. Das ärgerte Mentz, und sie beschloss, die erste Salve abzufeuern. »Bruno, ich habe dem Minister bisher nichts von Ihren Tricks erzählt, aber wenn wir bis zum Mittag nicht zu einer Einigung kommen, habe ich keine andere Wahl.«
»Tricks?«, fragte er, als sei er aufrichtig verblüfft.
»Ich bitte Sie. Ich habe wirklich keine Zeit für solche Spielchen.«
»Janina, ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden.«
»Schlechte Wetterbedingungen im Nordatlantik? Halten Sie uns wirklich für so rückständig,
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