Rote Spur
Neville Philanders Büro, vor der Geräuschkulisse des unablässig klingelnden Telefons und der auf Maximum gedrehten, fauchenden Klimaanlage, fragte Mat Joubert, ob er die Unterlagen aller Busfahrer einsehen könne, die Danie Flint zwischen dem 1. September und dem 25. November entlassen habe.
»Jesses!«, seufzte Neville Philander, der neben seinem Schreibtisch stand.
»Ich weiß, dass das lästig ist«, entschuldigte sich Joubert.
»Neville!«, rief die Frauenstimme über den Flur.
»Sofort!«, rief Philander zurück und warf einen Blick auf sein Telefon, als sei es eine Schlange. An Joubert gewandt sagte er: »Tun Sie mir einen Gefallen: Wenden Sie sich direkt an die Hauptgeschäftsstelle, wenn Sie Personalakten einsehen wollen, denn wenn ich sie jetzt anfordern muss, ist mein Tag im Eimer. Fahren Sie einfach hin und sehen Sie sie sich dort an. Die Erlaubnis von Mister Eckhardt haben Sie ja.«
»Mache ich. Wo finde ich die Hauptgeschäftsstelle?«
»Neville!«
»Santasha, bitte! In Epping Industria, Hewettstraat, vielen Dank. Kommen Sie, ich zeige ich Ihnen Danies Arbeitsplatz.«
Santashas Stimme, höchst ungeduldig: »Neville, Liebchen, gehst du heute noch dran?«
Joubert folgte Philander hinaus auf den Flur. »Nicht, wenn du dich so im Ton vergreifst!«
Er verschwand durch eine Tür, Joubert folgte ihm. Santasha rief: »Ich vergreife mich nicht im Ton, Liebchen, ich will dich nur mo-ti-vie-ren!«
Das Büro war durch Abtrennungen in Brusthöhe in vier Arbeitsplätze unterteilt, jeder mit einem Schreibtisch und einem Sideboard ausgestattet, alle in demselben hellen Holz. Auf den beiden Schreibtischen, auf die beim Eintreten der Blick fiel, lagen |506| ein wenig durcheinander einige Stapel Papier und Ordner. Das Büro war zur Zeit nicht besetzt.
»Motiviere lieber den Anrufer, ein bisschen zu warten«, rief Philander, umrundete eine Abtrennung, ging hinten durch ans Fenster und zeigte auf einen Schreibtisch. »Hier ist Danies Arbeitsplatz«, erklärte er. »Weitgehend unverändert, seitdem er zum letzten Mal hier war.«
»Vielen Dank«, sagte Joubert.
»Viel Glück.« Philander drehte sich rasch um und trabte zur Tür.
Joubert betrachtete Schreibtisch, Sideboard und Bürostuhl, eine schlichte Einrichtung auf hellbraunem Teppichboden. Der Schreibtisch hatte rechts drei Schubladen. Unter dem Tisch stand der Computer, auf der Tischplatte befanden sich Maus, Tastatur und Bildschirm. Dazu ein dünner Stapel Unterlagen und ein Klemmbrett, ein Kaffeebecher mit Porschelogo und einem inzwischen eingetrockneten Rest Kaffee. An der ausgebleichten, hellblauen Abdeckung der Trennwand hingen Fotos und Notizen.
Joubert setzte sich auf den Stuhl und betrachtete die Fotos. In der Mitte war eines, das hier vor dem Depot aufgenommen worden war, offenbar von der ganzen Verwaltungsbelegschaft, sechs Männer, drei Frauen. Philander stand in der Mitte, Danie als zweiter von rechts in der hinteren Reihe, mit einem breiten Lächeln. Joubert fragte sich, welche der drei farbigen Frauen die diplomatisch-drängende Santasha war.
Daneben hing ein Foto von Danie und Tanja Flint, aufgenommen auf einer Betriebsfeier. Tanjas Gesicht war damals noch voller; sie blickte amüsiert Danie an, der mit einem Partyhütchen auf dem Kopf und einem Bier in der Hand ausgelassen lachte. Ein weiteres Foto zeigte Danie auf einem Boot, irgendwo auf einem Fluss, die Arme um die Schultern zweier Freunde gelegt. Drei Abbildungen von Sportwagen, aus Zeitschriften ausgeschnitten: ein Audi R8, ein Ferrari F430 Spider und ein Lamborghini Murciélago LP640. Gelbe Post-it-Zettel |507| mit hastig hingekritzelten Namen und Telefonnummern, Erinnerungen an Besprechungen und Abgabetermine für Berichte, die Anzahl der Ausrufezeichen je nach Wichtigkeit variierend.
Joubert zog den Stapel Unterlagen heran und ging sie durch. ABC-Formulare mit Zahlen und Verweisen, offenbar auf Busse. Eine hellbraune Mappe mit dem ABC-Logo darauf, dem Wort Bewerbungen und in mahnenden roten Buchstaben der Hinweis:
Bitte zurück an HG, z. H. Mrs. Heese!!
In der Mappe befanden sich Bewerbungen von Busfahrern, jede mit Foto, einem kurzen Lebenslauf und einem Bericht der Personalabteilung.
Er schob sie beiseite und versuchte, die oberste Schublade zu öffnen. Sie war abgeschlossen.
Die zweite Schublade enthielt ein Metallkörbchen für Schreibutensilien mit verschieden großen Fächern. Billige gelbe Kulis, zwei Bleistifte, ein Tacker, eine blaue Schachtel mit Heftklammern, ein
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