Rote Spur
Minuten, denn so lange ließ Baboo Rayan, der Handlanger und Wächter des Höchsten Rats, das Haus jeden Morgen unbewacht, um in einem kleinen Laden an der Victoriastraat Milch und eine Zeitung zu kaufen. Manchmal brauchte er etwas länger, je nach Verkehrslage, aber weniger als neun Minuten war er noch nie ausgeblieben.
Auf den drei Monitoren vor sich sah Quinn drei verschiedene Bilder. Das in der Mitte stammte aus Nummer 16A und zeigte das Haus des Höchsten Rates gegenüber, vor dem derzeit noch Baboo Rayans weißer Hyundai Elantra, Baujahr 1998 stand. Der zweite Monitor links zeigte die Aufnahme aus dem Lieferwagen um die Ecke und gab die Sicht des Fahrers auf die Straße wieder. Und auf dem dritten, dem rechten, erschien die Vorderfront des kleinen Ladens, in dem Rayan jeden Morgen seine Einkäufe erledigte.
|67| In dem alten, klapprigen Pick-up an der Ecke zwischen Chamberlain- und Mountainstraat befand sich keine Videokamera. Quinn hatte den Wagen für den Notfall dort postiert, falls Plan B in Kraft trat – im Zweifelsfall sollte er die Straße blockieren und Rayan aufhalten. Er hoffte, ihn nicht einsetzen zu müssen, weil die Gefahr bestand, dass die Extremisten misstrauisch wurden. In den letzten Wochen waren sie ohnehin schon äußerst wachsam und übervorsichtig gewesen. In jeder Hinsicht.
Auf dem mittleren Bildschirm sah man, wie die Haustür von Nummer 15 geöffnet wurde und Rayan auftauchte.
»Haltet euch bereit«, sagte Quinn in das kleine Mikrofon vor seinem Mund.
Er beobachtete, wie Rayan wie jeden Morgen auf dem Bürgersteig stehen blieb und rechts und links die Straße entlangblickte. Dann schloss er die Tür des Elantras auf, stieg ein, drehte am Radio herum, startete dann erst den Motor und legte den ersten Gang ein.
Er fuhr los.
Quinn drückte auf die Stoppuhr und sagte. »Okay, Handwerker, an die Arbeit.«
Der Lieferwagen mit dem Logo einer fiktiven Radio- und Fernsehinstallationsfirma setzte sich in Bewegung.
Rayans Elantra verschwand vom mittleren Monitor.
Quinn blickte auf das Bild ganz links. Der Lieferwagen bog in die Chamberlainstraat ein. Rayans Auto kam ihm entgegen. Rayan achtete nicht auf den Lieferwagen und fuhr vorbei.
»Gebt Gas!«
Der mittlere Monitor. Chamberlainstraat Nummer 15. Quinn wartete auf das Erscheinen des Lieferwagens. Die Sekunden tickten vorbei.
»Zeit: minus acht«, las Quinn von der Stoppuhr ab.
Der Lieferwagen wendete vor Nummer 15 und parkte so, dass die Kamera zur Straße hin zeigte und die Satellitenschüssel von Nummer 16A aus sichtbar war.
|68| Der Techniker und sein Helfer sprangen heraus und eilten zur Heckklappe.
»Langsamer. Nicht so hastig. Verhaltet euch normal.«
Sie verlangsamten ihre Bewegungen. Öffneten die Hecktüren, holten die erste Leiter und die Werkzeugkiste heraus.
Quinn warf einen nervösen Blick auf das Videobild von dem Laden, obwohl es noch zu früh für Rayans Ankunft war.
Sein Team trug die Leiter und die Kiste bis zum Zauntor von Nummer 15. Einer öffnete es. Sie gingen hindurch. Klappten die Leiter auf, weil die Schüssel weit oben hing. Der Techniker kletterte hinauf, inspizierte aufmerksam die Befestigungen und sagte dann zu seinem Kollegen unten: »Dreizehnerschlüssel.«
Rayan war noch nicht beim Laden angekommen.
Der Techniker löste das Fernsehkabel, begann, die Muttern loszuschrauben, und der Helfer lief zurück zum Lieferwagen, um die neue Schüssel und den Aufsatz zu holen.
»Zeit: minus sieben.«
Rayans Elantra hielt vor dem Laden.
»Er ist dem Zeitplan ein bisschen voraus. Konzentriert euch«, sagte Quinn.
»Die Muttern sind eingerostet«, sagte der Techniker auf der Leiter. »Gib mir das Q20.«
Quinn sagte nichts. Er sah nur zu. Der Helfer war wieder auf dem Weg zurück zum Lieferwagen, um die zweite Leiter zu holen. Alles verlief nach Plan.
Rayan stieg aus und ging zum Laden.
Hoffentlich sind noch andere Kunden drin, dachte Quinn.
»Die Muttern wollen nicht«, sagte der Techniker.
»Wie bitte?«
»Zwei sind eingerostet. Ich kriege sie nicht los.«
Rayan verschwand im Laden. Quinn sah auf die Stoppuhr. »Du hast eine Minute, dann müssen wir die Aktion abblasen.«
»Roger.« Quinn beobachtete, wie der Techniker erneut Rostlöser auf die Bolzen sprühte. Der Helfer lehnte die zweite Leiter neben die erste.
|69| Der Techniker kämpfte mit den Bolzen. Die Spannung wuchs.
Die Sekunden tickten vorbei.
Der Techniker sprühte, versuchte es erneut. Die Mutter saß fest. Sprühte wieder alle
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