Rote Spur
waren plötzlich still und hörten aufmerksam zu.
»Nein, heute nicht, danke, Tannie«, antwortete ich leise.
»Ein doppelt dicker Milchshake!«, höhnte die Ratte.
Ha-ha-ha. Sie tranken ihr Bier in großen Schlucken.
»Die Scones sind phantastisch«, lobte Emma.
»Danke, Emmatjie.«
Emma schenkte sich Tee nach.
»Komm, Emmatjie, setz dich zu uns«, sagte der Sportliche.
»Ach was, die ist doch doppelt dünn!«, sagte die Ratte.
»Ob dick oder dünn …«, sagte der Sportliche. Ha-ha-ha.
»Er sieht aber aus, als wäre ihm der Milchshake zu Kopf gestiegen«, sagte der Große, sah mich an und tippte sich mit dem Finger an den Kopf.
Lemmers Erstes Strafgesetz: In Loxton wird niemals aus Wut die Hand erhoben.
Ich stand auf, ging an den Tresen und holte mein Portemonnaie heraus, den Rücken zu ihnen gewandt.
»Warum wurde Jesus nicht in Loxton geboren?«, fragte die Ratte.
Tannie Wilna runzelte die Stirn.
»Weil es hier keinen Weisen gab«, antwortete der Stahlgraue. Ha-ha-ha.
»Und auch keine Jungfrau«, fügte der Große hinzu. Ha-ha-ha, eine Oktave höher.
Tannie Wilna schrieb die Rechnung. Langsam und sorgfältig wie immer.
»Ich weiß nicht, Emmatjie sieht aus, als könnte sie noch Jungfrau sein«, sagte der Stahlgraue.
Ich legte die Hände auf den Tresen, senkte den Kopf, atmete tief durch. Langsam ein, langsam aus. Ich wusste, was in ihren Köpfen vorging – sie sahen in mir das blasse, schmale Landei und fühlten sich stark in der Gruppe.
|115| »Eine doppelt dünne Jungfrau«, sagte der Sportliche.
»An dir ist ein Dichter verlorengegangen«, sagte der Große.
»Emma, so nett, komm in mein Bett …«, sang die Ratte.
Gröhlendes Gelächter.
Ich öffnete mein Portemonnaie, um das Geld herauszuholen. Ich bemerkte, dass meine Hände zitterten.
»Komm schon, Emma, ich bin auch ganz lieb zu dir«, sagte die Ratte.
»Oder auch nicht«, sagte der Sportliche. Ha-ha-ha.
Ich hörte, wie Emma ihren Stuhl zurückschob, und wusste, der Ärger hatte mich eingeholt.
»Komm her«, forderte Emma ihn heraus. »Versuchs doch.«
»Ho, ho, ho«, tönte die Ratte, nicht mehr ganz so mutig.
Bissig fuhr Emma fort: »Was wohl deine Frau sagen würde, wenn sie dich jetzt sehen würde? Und erst deine Kinder?«
Ihnen fiel so schnell keine geistreiche Antwort ein.
»Das macht fünfundneunzig Rand«, flüsterte Tannie Wilna. Ihr zuliebe mussten wir hier raus. Und zwar sofort.
»Ihr seid armselig«, höhnte Emma.
Drohendes Schweigen. Hastig legte ich das Geld auf den Tresen und drehte mich um. Emma hatte sich vor ihnen aufgebaut, stocksteif vor Wut. »Emma …«, sagte ich, denn ich hatte sie schon in Aktion gesehen. Vor neun Monaten hatte sie einem kräftigen Polizisten mehrmals furchtlos ihren zarten Zeigefinger in die Brust gebohrt.
Ich sah den giftigen Blick des Stahlgrauen und wusste, dass seine nächste Bemerkung alles verändern würde. Ich war unterwegs zu Emma, als er hervorstieß: »Was bildest du dir eigentlich ein?«
Ich rang verbissen um den letzten Rest Selbstbeherrschung. Meine innere Stimme schrie: Raus hier!
»Du bist armselig, du kleine magere Nutte«, zischte der Stahlgraue.
Eine Welle der Wut erfasste mich. Ich steuerte direkt auf ihn zu.
|116| 21
Eine Spur umfasst eine große Vielfalt von Zeichen, beginnend bei sichtbaren Fußabdrücken, die detaillierte Informationen über die Art und die Aktivitäten eines Tieres vermitteln, bis hin zu äußerst subtilen Zeichen, die womöglich nichts weiter verraten, als dass irgendetwas die Ordnung der Natur gestört hat.
Grundzüge des Spurenlesens: Die Klassifikation der Zeichen
»Wow, sind das tolle Maschinen da draußen – ihr müsst ja steinreiche Männer sein«, ertönte eine joviale, tiefe Stimme von der Tür her. Eine untersetzte Gestalt mit bekanntem Gesicht drängte sich rasch an mir vorbei. Der Mann zwinkerte mir zu und schirmte mich ab. »Lemmer, alter Kumpel, ich habe schon das ganze Dorf nach dir abgesucht«, sagte er, als würde er mich wer weiß wie gut kennen.
Es dauerte etwas, bis mir einfiel, wer er war. Diederik Brand, ein Farmer aus der Gegend. Ich zwängte mich an ihm vorbei und wollte auf den Strahlgrauen losgehen, wollte allen einen Denkzettel verpassen. Der Große erhob sich bereits.
Emma sah, was ich vorhatte. »Lemmer, nicht!«
Diederik legte mir seine breite Hand fest auf die Schulter und redete leise und beruhigend auf mich ein: »Lass dich doch nicht provozieren.« Er drehte sich zu dem Tisch der Männer
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