Rote Spur
Teufel, wo sie damit hinwollten. Jedenfalls war Ehrlichmann einer derjenigen, der die Aktionen von der anderen Seite aus organisierte.«
Ich dachte darüber nach und fragte dann: »Und Diederik Brand?«
»Diederik war ein Aufkäufer.«
»Ein Aufkäufer?«
»Ich dachte, du arbeitest für ihn?«
»Ja, aber erst seit Samstag.«
|230| »Ach so. Also, das Zeug aus Simbabwe … Die Bauern wollten es möglichst verkaufen, denn was sollten sie mit dem Vieh und den Maschinen in Südafrika? Diederik hat vieles aufgekauft, er gehörte zu denen, die auf diese Weise halfen. Er hat dann die Sachen weiterverkauft, auf Auktionen und so weiter. Ich habe ihn noch nie persönlich kennengelernt, sondern immer nur am Telefon mit ihm gesprochen. Er ist ein guter Kerl. Einmal hat er den Simbabwern sogar Nahrungsmittel und medizinische Hilfe geschickt, nachdem Mugabe und seine Bande die Getreidevorräte des Roten Kreuzes geplündert hatten.« Wickus lachte kopfschüttelnd in sich hinein. »Bis heute frage ich mich, wo Diederik die Sachen herhatte.«
»Er ist ein Macher«, sagte Swannie, ebenso respektvoll.
»Weiß Gott. Wie kommt ein Karoobauer an Medikamente aus Norwegen?«
In meinem Hinterkopf schrillte eine Alarmglocke. »Aus Norwegen?«
»Ja, zumindest stand das groß auf den Kisten. Karma, Karmer oder so ähnlich … Und ›Oslo, Norge‹.«
»Kvaerner?«
»Ja, so ähnlich.«
Kvaerner – so hieß das norwegische Unternehmen, zu dem Techno Arms, der Hersteller der MAG7, gehörte. »Hat Ehrlichmann auch beim Transport der Medizinkisten geholfen?«
»Ja«, antwortete Wickus Swanepoel. »Simbabwe braucht mehr solcher Leute.«
Alle drei begleiteten uns zum Flugzeug. Lollie verabschiedete uns mit einem Küsschen, Wickus und Swannie schüttelten uns herzlich die Hand, als gehörten wir nun zu ihrem Freundeskreis.
Als Lotter über ihnen eine Schleife flog und als letzten Gruß mit den Tragflächen wackelte, sahen wir hinunter auf die kleinen Gestalten, die mit ausgestreckten Armen winkten, und Lotter sagte: »Gute Menschen.« Er, die Swanepoels, Emma – sie alle |231| erkannten spontan die Tugenden ihres Gegenübers, glaubten, dass die Menschen von Grund auf gut seien, und wenn nicht, dann zumindest interessant oder faszinierend. Bei mir war das nicht so. Ich war anders. Ich hatte am Esstisch gesessen, mir die Geschichte von Floh van Jaarsveld angehört und mich gefragt, warum niemand eingeschritten war. Warum war niemand zu Groot Frik Redelinghuys hingefahren, hatte ihn zur Rede gestellt und ihm gesagt: »He, Blödmann, wach auf, das sind deine Tochter und deine Enkelin«? Warum hatten die Sittenwächter Musinas nicht viel früher mit Drika geredet oder Louis gewarnt? Und als die beiden Leute aus Moremi nach Louis’ Tod nach Angehörigen von Floh suchten, warum war niemand aufgestanden und hatte gesagt: »Bringt das Mädchen zu mir«? Warum hatten Wickus und Lollie nicht eingegriffen? Die quasimitfühlenden Bemerkungen wie »schrecklich« oder »eine traurige Sache« zehn Jahre nach der Katastrophe nutzten keinem mehr. Das war das Problem in unserer Gesellschaft: Wir waren Zuschauer geworden, Kritiker an der Seitenlinie. Begierig lasen wir Geschichten über das Leid anderer, hörten oder erzählten davon. Immer auf hohem moralischen Ross. Denen war doch ganz recht geschehen! Doch niemand besaß den Mut einzuschreiten.
Zugegeben, auch mein Erstes Gebot lautete, mich nicht einzumischen, doch der entscheidende Unterschied bestand darin, dass ich mich nicht moralisch überlegen fühlte. Mir lag nichts daran, zu den Guten zu gehören.
In dem Moment wurde ich mir meiner Wut bewusst. Ich wusste, wo sie herkam. Wickus und Lollie hatten mir etwas genommen: meine Motivation, Floh zu … Was wollte ich eigentlich mit ihr anstellen, wenn ich sie aufspürte? Sie bestrafen? Sie demaskieren? Und jetzt? Wo die Parallelen zwischen uns so deutlich zutage getreten waren? Eine Schlampe zur Mutter, einen Verrückten zum Vater, eine Kindheit, zielstrebig ruiniert von den Eltern, die sich niemals hätten fortpflanzen dürfen, und dazu Verwandte und eine Gesellschaft, die den Blick abwandten, |232| denn es war ja nicht ihre Angelegenheit. Jetzt wünschte ich, ich würde sie niemals finden, jetzt hoffte ich, dass, was immer sie den Nashörnern aufgeklebt hatte, ihr zu Flucht und Erlösung verhalf.
Am liebsten wäre ich umgekehrt und nach Hause geflogen.
Doch ich konnte nicht. Ich musste die Glock wiederhaben.
Lotter blickte hinunter
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