Rote Spur
auf den gerodeten Streifen im Wald, der durch ein flaches Tal zwischen hohen Hügeln führte und sagte: »Das wird knifflig.«
»Wie knifflig?«
»Sehr knifflig.«
»Wir müssen hier nicht landen«, sagte ich und sann nach Alternativen, die hauptsächlich einen Transport über die Straße beinhalteten.
»Du kannst ruhig die Augen zumachen«, erwiderte er mit einem Lachen, das besagte, er habe schon immer mal die Grenzen seiner RV7 ausloten wollen.
Erneut überflog er den Landestreifen und kippte über eine Tragfläche ab, um besser sehen zu können.
»Wonach suchst du?«
»Die haben keinen Windsack.«
»Ist das ein Problem?«
»Nein … eigentlich nicht.«
Dann zog er eine weite Kurve, bevor er in den Sinkflug ging und eine Schlucht zwischen zwei Hügeln anpeilte. »Gleich ist es so weit.«
Ich erwog ernsthaft, die Augen zu schließen.
Felsen, Büsche und Bäume rasten nur wenige Meter an den Spitzen der Tragflächen vorbei, dann drehte Lotter scharf links ab und ließ die Maschine noch tiefer sinken. Das Tal öffnete sich vor uns. Die Baumwipfel schienen zu hoch, zu nahe zu sein. Die Maschine brummte tiefer, er arbeitete mit dem Steuerknüppel und den Pedalen, der Landestreifen lag genau vor uns. Viel zu kurz. Hart prallten wir auf dem Boden auf. Lotter bremste |233| scharf. Ich wurde in den Sicherheitsgurt gedrückt. Die Baumwand näherte sich schnell.
Ich schloss die Augen.
»Puuh«, sagte Lotter.
Wir kamen zum Stehen. Ich schlug die Augen wieder auf. Der Flugzeugpropeller war nicht viel mehr als zwei Meter von dem massiven Stamm eines Baobabbaums entfernt.
Lotter schaltete den Motor ab und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Gar nicht so schlecht«, meinte er.
»Und wie es ist mit dem Start morgen?«
»Pah … eine Kleinigkeit.« Aber das glaubte er wohl selber nicht.
41
In schwierigem Gelände, wo Zeichen selten auftreten, müssen Spurenleser unter Umständen die Bewegungen des Tieres vorausahnen können.
Die Kunst des Spurenlesens: Grundlagenwissen
Zehn Minuten nach unserer Landung kam ein alter, mitgenommener Land Rover durch das Gras und die Dornakazien geschaukelt. Zwei Schwarze stiegen aus und hießen uns in holprigem Englisch willkommen, als begrüßten sie nicht täglich Besucher.
»Wir bringen Sie ins Camp.«
Lotter betrachtete fasziniert das Fahrzeug. »Wahnsinn!«, stieß er aus. »Ein Kombi aus der Zweier-Serie, der 2,5-Liter-Diesel. Die Kiste muss mindestens fünfzig Jahre alt sein.«
Seine Begeisterung hatte ihn die todesmutige Landung völlig vergessen lassen.
Wir nahmen unsere Taschen, stiegen ein und rumpelten über fast unsichtbare Waldwege. Unterwegs schreckten wir eine Herde Streifengnus und einen sie begleitenden Vogelschwarm |234| auf. Drei Giraffen, hoch über allem schwebend, ignorierten uns. Die Hitze hier war erträglich, nicht so schwül wie in Musina.
Das Lager schmiegte sich an den Hang eines Hügels. Ein Kreis hellgrüner Zelte auf Holzplattformen stand im kühlen Schatten massiver Masasabäume. Am Wegesrand waren auf einem einfachen Teakholzblock die Worte
Chinhavira Camp
eingeschnitzt. In der Mitte des Lagers befand sich ein eingefriedeter Essplatz mit einigen Tischen und Stühlen und einer großen Feuerstelle. Zwischen den Zelten harkte ein Mann die rotbraune Erde. An einem Tisch neben dem Essplatz schälten zwei andere Gemüse.
Unser Fahrer sagte: »Shumba kommt später. Ich zeige Ihnen Ihre Zelte.«
»Shumba« war vermutlich Ehrlichmann.
Wir folgten dem Fahrer.
Er erschien kurz vor Sonnenuntergang, ein großer Mann, der durch die langen Schatten schritt, einen krummen Wanderstab in der Hand, in kurzer Khakihose und kurzärmeligem Hemd, Sandalen und einem breitrandigen Hut. Sein langes, silbergraues Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Ein bartloser Moses in Safarikleidung.
Lotter und ich saßen an einem Tisch, er mit einem Bier, ich mit einer Cola, denn hier gab es keinen Traubensaft, weder Birdfield noch »Grapetiser« mit Kohlensäure. Der Mann lehnte seinen Stab gegen den Ring aus Holzpfählen, nahm den Hut ab, lächelte breit und kam mit ausgestreckter Hand auf uns zu.
»Ich bin John Ehrlichmann«, sagte er mit derselben klangvollen, ausdrucksstarken Stimme wie am Satellitentelefon.
Wir standen auf und stellten uns ebenfalls vor.
»Lotter.«
»Lemmer.« Ich erwartete, dass er etwas über den Zustand meines Gesichts sagen würde, und fragte mich, welchen Scherz Lotter vorbereitet hatte.
»Alliteration«, bemerkte Ehrlichmann
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