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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Nicht wahr, Agnes?« sagte er. »Sie sehen mich doch an, meine Liebe?«
    Die Frau im Bett rührte sich nicht, nicht einmal ein Augenlid zitterte.
    Er trat an den Rand des Betts und fing an, sie zu untersuchen.
    Seine schwarzen Hände waren ein bemerkenswerter Kontrast zur Blässe der Frau. Mit dem Stethoskop hörte er Herz und Lunge ab, und den Bauch überprüfte er auf Darmgeräusche. Er leuchtete in ihre Pupillen und testete Arme und Beine auf ihre Beweglichkeit. Schließlich rollte er sie herum und sah sich die Haut an Rücken und Gesäß an. Keine Wundliegemale. Vorsichtig bettete er sie wieder gegen die stützenden Kissen und zog ihr die Decke über die Brust.
    »Gut sehn Sie aus, Agnes«, murmelte er und klopfte ihr auf die Schulter. »Einen schönen Tag wünsche ich.«
    Toby folgte ihm und kam sich wie ein Zwerg im Schatten eines Riesen vor. »Sie ist in einer guten Verfassung für jemanden, der seit einem Jahr einen vegetativen Status hat.«
    Er nahm das Krankenblatt und notierte die Daten über ihren Krankheitsverlauf. »Ja, gewiß. Wir bieten echten Rolls-Royce-Servive.«
    »Zu Rolls-Royce-Preisen?«
    »Sie können es sich leisten. Wir haben hier einige ziemlich wohlhabende Bewohner.«
    »Ist das hier eine Einrichtung nur für Ruheständler?«
    »Nein, wir haben auch ein paar Berufstätige, die sich hier eingekauft haben, um sicherzugehen, daß man sich auch künftig um ihre Bedürfnisse kümmert. Wir sorgen für Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung. Langzeitpflege, wenn sie nötig wird. Sie haben vielleicht gesehen, daß wir die Pflegeabteilung bereits ausbauen.«
    »Ich habe auch einen sehr schönen Golfplatz entdeckt.«
    »Außerdem gibt es Tennisplätze, ein Kino und ein Hallenbad.«
    Er schloß das Krankenblatt und lächelte sie an. »Das weckt in einem schon den Wunsch, früh in Rente zu gehen, nicht?«
    »Ich glaube nicht, daß ich mir ein Rentnerdasein wie hier leisten könnte.«
    »Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Das könnte keiner von uns.«
    Er sah auf die Uhr. »Es war nett, Sie kennenzulernen, Dr. Harper. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen? Ich muß mich noch um eine Menge Patienten kümmern.«
    »Gibt es hier irgendeine Möglichkeit, mehr über Harry zu erfahren?«
    »Dr. Wallenberg ist am Montag zurück. Sie können sich dann mit ihm in Verbindung setzen.«
    »Ich möchte aber
jetzt
wissen, womit ich es zu tun habe. Es macht mich schon ganz krank. Könnten Sie nicht einmal durchsehen, was in der Ambulanz an Daten über den Patienten angelegt sind? Und mich anrufen, wenn Sie etwas Wichtiges finden?« Sie kritzelte ihre Privatnummer auf eine Visitenkarte und gab sie ihm.
    Er nahm sie zögernd. »Ich werde sehen, was ich tun kann«, war alles, was er sagte. Dann drehte er sich um, ging in ein Krankenzimmer und ließ Toby allein im Flur stehen.
    Sie stand mit dem Rücken zur Tür und seufzte. Sie hatte ihr Bestes getan, an die Informationen zu kommen, aber in der Brant war man einfach nicht kooperativ. Jetzt spürte sie, wie Hunger und Müdigkeit sie überfielen. Ihr Körper meldete seine Rechte an.
Essen. Schlafen. Sofort.
Langsam und mit schweren Beinen ging sie zurück zum Aufzug. Doch auf halbem Weg blieb sie stehen.
    Jemand schrie.
    Es kam aus dem Krankenzimmer am Ende des Flurs – kein Schmerzensschrei, sondern Angst.
    Toby rannte los und hörte, wie hinter ihr im Gang Stimmen aufkamen und dann schnelle Schritte folgten. Doch sie erreichte vor allen anderen die Tür und stieß sie auf.
    Zuerst sah sie nur einen älteren Mann, der auf Händen und Füßen über ein Bett kroch. Er war von der Taille abwärts nackt, und sein schrumpeliges Gesäß bewegte sich vor und zurück wie bei einem Hund beim Paarungsversuch.
    Dann entdeckte Toby die unter Decken und Tüchern begrabene Frau, von der kaum noch etwas zu sehen war.
    »Zieht ihn runter von mir! Bitte, zieht ihn runter!« schrie die Frau.
    Toby packte den Mann am Arm und versuchte, ihn wegzuziehen. Er reagierte mit einem so heftigen Stoß, daß Toby das Gleichgewicht verlor und rücklings auf dem Fußboden landete. Eine Schwester kam ins Zimmer gestürzt.
    »Mr. Hackett, hören Sie auf!
Hören Sie auf damit!
« Die Schwester versuchte ebenfalls, den Mann wegzuziehen, doch auch sie wurde zur Seite geschleudert.
    Toby kam wieder auf die Füße. »Packen Sie ihn an dem einen Arm, ich nehme den anderen«, sagte sie und lief um das Fußende des Betts. Beide hielten den Mann an den Armen. Selbst als sie ihn nun von der Frau

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