Roter Engel
Wann werden die Nähte gezogen?«
»In fünf Tagen.«
»Und wann bekomme ich die Rechnung?«
Sie lächelte. »Gar nicht. Tun Sie mir nur einen Gefallen.«
»Hm, ja.«
»Werfen Sie einen Blick in Harry Slotkins Krankenblatt. Rufen Sie mich an, wenn Sie meinen, da wäre was, das ich wissen sollte. Das ich vielleicht übersehen habe.«
»Sie meinen, Sie haben?«
»Ich weiß nicht. Aber ich mag es gar nicht, wenn ich etwas vermassele. Wirklich. Vielleicht ist Harry ja klar genug, daß er den Weg nach Brant Hill zurückfindet. Vielleicht sogar bis in das Zimmer seiner Frau. Halten Sie die Augen nach ihm auf.«
»Ich sage es den Schwestern.«
»Man kann ihn kaum übersehen.« Sie griff nach ihrer Handtasche. »Er hat nicht ein Fitzelchen Sachen am Leib.«
Toby bog in ihre Auffahrt ein, parkte den Wagen neben Bryans Honda und stellte den Motor ab. Sie stieg nicht gleich aus, blieb einfach einen Augenblick sitzen, lauschte dem Tick-tick-tick des abkühlenden Motors und genoß diesen ruhigen Moment, wo niemand etwas von ihr wollte. Sie wollten immer so viel von ihr. Sie holte tief Luft und lehnte den Kopf gegen die Kopfstütze. Es war halb zehn, eine ruhige Zeit in dieser Vorstadtgegend mit ihren berufstätigen Bewohnern. Die Eltern waren bei der Arbeit, die Kinder in der Schule oder im Kinderhort, und die Häuser standen leer und warteten auf die Ankunft der Putzkommandos, die staubstaugen und wischen würden und dann wieder verschwanden, das typische Geruchsgemisch von Bohnerwachs und Scheuermitteln hinterlassend. Es war eine sichere Wohngegend mit gepflegten Häusern, nicht gerade die eleganteste von Newton, aber sie genügte Tobys Bedürfnis nach einer gewissen Ordnung in ihrem Leben. Nach einer Schicht in der Notaufnahme, von der man nie wußte, was einen erwartete, hatte der Anblick eines kurzgeschnittenen Rasens vor dem Haus seinen eigenen Reiz.
Ein Stück die Straße hinunter sprang ein Laubhäcksler an. Der Moment der Stille war vorbei. Die Gartenmaschinen hatten ihren täglichen Einsatz begonnen.
Zögernd verließ sie ihren Mercedes und stieg die Stufen zur Vorderveranda hinauf.
Bryan hütete für sie das Haus und paßte auf ihre Mutter auf. Toby bezahlte ihn dafür. Jetzt erwartete er sie schon mit übereinandergeschlagenen Armen an der Tür und sah sie aus zusammengekniffenen Augen mißbilligend an. Er hatte die Körpergröße eines Jockeys, ein schmucker junger Kerl in Miniaturausgabe, aber auch ein nicht zu übersehendes Hindernis.
»Ihre Mama hat heute morgen gegen die Wände gehämmert, daß man meinen konnte, sie stürzten gleich ein«, sagte er. »Sie sollten ihr das nicht antun.«
»Haben Sie ihr nicht gesagt, daß ich später heimkomme?«
»Das hilft nichts. Sie wissen, sie versteht das nicht. Sie erwartet Sie in der Frühe, und wenn Sie nicht kommen, ist sie nur noch dauernd am Fenster. Sie wissen, hin und zurück und wieder hin, ob nicht Ihr Auto kommt.«
»Tut mir leid, Bryan. Es war nicht zu ändern.« Toby ging hinter ihm her ins Haus und legte die Handtasche auf den Garderobentisch. Sie nahm sich Zeit beim Aufhängen der Jacke und sagte sich:
Nicht ärgerlich werden. Nicht die Fassung verlieren.
Du brauchst ihn. Mom braucht ihn.
»Mir macht es nichts aus, wenn Sie zwei Stunden zu spät kommen«, sagte er. »Ich kriege mein Geld. Ich werde gut bezahlt, allerbesten Dank. Aber Ihre arme Mama, die wird damit nicht fertig.«
»Wir hatten einige Probleme im Krankenhaus.«
»Sie hat ihr Frühstück nicht angefaßt. Und jetzt sind die Spiegeleier kalt.«
Toby knallte den Flurschrank zu. »
Dann mache ich ihr eben ein neues Frühstück.
«
Schweigen.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm, die Hand noch an der Schranktür, und dachte: Ich wollte gar nicht so ärgerlich klingen. Aber ich bin müde. Ich bin so furchtbar müde.
»Alsdann«, sagte Bryan, und in dem Wort steckte alles. Verletztheit. Rückzug.
Sie drehte sich um und sah ihn an. Sie kannten sich jetzt schon zwei Jahre, aber ihr Verhältnis war immer nur Arbeitgeber – Angestellter gewesen, und niemals hatten sie diese Hürde in Richtung auf eine wirkliche Freundschaft überschritten. Sie hatte nie sein Haus betreten und nie Noel kennengelernt, den Mann, mit dem er lebte. Doch jetzt gerade war ihr klargeworden, daß sie inzwischen von Bryan abhängiger war als von sonstwem. Er war es, der ihr ihr Leben ermöglichte, und sie konnte es sich nicht leisten, ihn zu verlieren.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich komme gerade mit
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