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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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die Ausrüstung funkelnagelneu und durchgehend erste Wahl. Den Tisch, auf dem Robbie lag, konnte man in alle möglichen Positionen verstellen, so daß man hier alles optimal behandeln konnte, von Kopfwunden bis zu den Hämorrhoiden.
    Die Overhead-Lampen waren hell genug für chirurgische Eingriffe, und in der Ecke stand ein Wägelchen mit dem kompletten Instrumentarium für Herz-Kreislauf-Notfälle bereit, natürlich nur die allerneuesten Modelle.
    Sie wusch die Wunde noch einmal mit Alkohol aus und stach die krumme Nadel an den Wundrändern ins Gewebe. Robbie lag absolut ruhig auf der Seite. Die meisten Patienten schlossen bei Eingriffen dieser Art die Augen, doch seine standen weit offen und starrten zur gegenüberliegenden Wand. So einschüchternd seine schiere Größe auch auf sie wirkte, seine Augen schienen jede Bedrohlichkeit wieder zu neutralisieren. Sie waren sanft-braun mit Wimpern so dick wie bei einem Kind.
    Sie machte den nächsten Stich und zog die Nadel an der anderen Seite wieder heraus. »Der Alte ist ganz schön tief gekommen«, sagte sie. »Sie hatten Glück, daß er nicht das Auge getroffen hat.«
    »Ich glaube, er hatte es eher auf meine Kehle abgesehen.«
    »Und er wird wirklich rund um die Uhr sediert?« Sie schüttelte den Kopf. »Da sollten Sie lieber die Dosis verdoppeln und ihn zusätzlich einschließen.«
    »Das ist er normalerweise auch. Wir haben die Alzheimer-Patienten auf einer separaten Station, wo wir sie unter Beobachtung haben. Ich nehme an, Mr. Hackett ist uns entschlüpft. Und, wissen Sie, manchmal kommen diese alten Burschen mit ihrer Libido nicht klar. Die Selbstkontrolle versagt, und der Körper will halt noch.«
    Toby zog eine Schlinge hoch, machte den letzten Stich, sicherte den Knoten und schnitt den Faden ab. Die Wunde war jetzt zu, und sie wischte sie noch einmal mit Alkohol ab. »Was für eine Versuchsreihe ist das denn?«
    »Hm?«
    »Die Schwester sagte vorhin, er nimmt an irgendeiner Versuchsreihe teil.«
    »Ach so. Wallenberg probiert etwas aus. Hormongaben bei älteren Männern.«
    »Und wozu?«
    »Der Jungbrunnen, was sonst? Wir haben eine wohlhabende Klientel, und die meisten von ihnen möchten ewig leben. Sie sind alle ganz begierig, sich freiwillig für die neuesten Behandlungstrends zur Verfügung zu stellen.« Er setzte sich auf und schüttelte den Kopf, als wolle er eine plötzliche Benommenheit abschütteln. Toby bekam es plötzlich mit der Angst: Je größer sie sind, desto schwerer fallen sie. Und desto schwerer sind sie auch wieder vom Boden hochzukriegen.
    »Legen Sie sich wieder hin«, sagte sie. »Sie sind zu schnell hochgekommen.«
    »Mir geht’s blendend. Ich muß wieder an die Arbeit.«
    »Nein, Sie bleiben, wo Sie sind, okay? Sonst fallen Sie noch um, und ich darf dann die andere Seite Ihres Gesichts zusammennähen.«
    »Noch eine Narbe«, grummelte er, »noch mehr Persönlichkeit.«
    »Die haben Sie bereits, Dr. Brace.«
    Er lächelte, aber sein Blick war noch ein bißchen unstet. Besorgt beobachtete sie ihn einen Moment und war darauf gefaßt, ihn aufzufangen, falls er ohnmächtig würde. Aber es passierte nicht.
    »Erzählen Sie mir noch von der Sonderbehandlung«, sagte sie.
    »Was für Hormone injiziert Dr. Wallenberg denn?«
    »Einen Cocktail. Wachstumshormone. Testosteron. Dehydroepiandrosteron. Und noch ein paar andere. Zur Untermauerung braucht es viele Versuche.«
    »Ich weiß, daß Wachstumshormone bei älteren Menschen für kräftigere Muskulatur sorgen. Aber ich habe noch nicht viele Studien gesehen, die sie kombinieren.«
    »Aber es hat seinen Sinn, nicht? Wenn man älter wird, funktioniert die Hypophyse nicht mehr so. Produziert nicht mehr all diese knackigen Hormone. Daher die Theorie, warum wir überhaupt altern. Unsere Hormone geben den Geist auf.«
    »Und Wallenberg ersetzt sie.«
    »Er scheint damit
einigen
Erfolg zu haben. Sehen Sie sich Mr. Hackett an. Geht ganz schön ran.«
    »Zu schön. Warum geben Sie denn einem Alzheimer-Patienten Hormone? Er kann dem ja nicht einmal von sich aus zustimmen.«
    »Vielleicht hat er das vor Jahren mal getan, als er es noch konnte.«
    »Die Studie läuft also schon so lange?«
    »Dr. Wallenbergs Forschungen haben ‘92 begonnen. Sehen Sie im Index Medicus nach. Da finden Sie seinen Namen über einem Dutzend veröffentlichter Arbeiten. Jedermann in der Geriatrie kennt Dr. Wallenbergs Namen.« Mit einem Schwung war er vom Tisch herunter. Nach einem kurzen Augenblick nickte er. »Wie ein Felsen.

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